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verwandt, doch deutlich voneinander geschieden: dafür sprechen die Zeugnisse der Historiker (bei Bremer, Schmidt, Chadwick), darauf weisen auch sprachliche Tatsachen. Von den ags. Dialekten stellt sich nach Jordans Untersuchung des Wortschatzes das Anglische näher zum Nordischen, das Westsächsische zum Friesischen und Altsächsischen, so daß die Gruppierung, die Beda für die Hauptstämme der Angelsachsen in ihrer schleswig-holsteinischen Heimat gibt, von der Sprachwissenschaft bestätigt wird. Die Angeln hatten offenbar mehr östliche, die Sachsen. westliche und südliche Beziehungen. Doch braucht man darum nicht mit Chadwick (Origin of the Engl. Nation 301) anzunehmen, daß die Sachsen ursprünglich die westliche, die Angeln die östliche Hälfte der kimbrischen Halbinsel bewohnt hätten. Eine solche Annahme widerspricht der Angabe Bedas, daß die Angeln zwischen Jüten und Sachsen saßen, da die Jüten wohl sicher im heutigen Jütland wohnten; auch hatten die Angeln offenbar ebenso wie die Sachsen und Jüten direkten Zugang zu der Nordsee.

§ 5. Seit dem Ende des 3. Jhs. hören wir von Raubfahrten fränkischer und sächsischer Seeräuber nach den Küsten Nordfrankreichs, die im 4. Jh. ungeschwächt fortdauerten und zu festen Niederlassungen der Sachsen an der gallischen Nordküste führten. Bald nach Anfang des 5. Jhs. finden wir sie schon an der Westküste Galliens in Anjou, besonders auf den Loireinseln angesiedelt (Hoops Waldb. u. Kulturpfl. 580 f.). Die Notitia dignitatum, deren britannische Kapitel nach Mommsen spätestens etwa 300 abgefaßt sind (Schmidt Allg. Gesch. 159), kennt nicht nur ein litus Saxonicum an der gallisch-flandrischen Nordküste von der Schelde bis zur Normandie und Bretagne (Kap. 36. 37), sondern erwähnt. auch einen Comes litoris Saxonici per Britanniam (Kap. 25); und seit 365 etwa hatten die britannischen Küstenländer (nach Ammian. Marc. 26, 4, 5) beständig unter den Einfällen der Sachsen zu leiden. § 6. In ihrer Heimat auf der kimbrischen Halbinsel waren die angelsächsischen Stämme von der Macht Roms

völlig unberührt geblieben: kein römischer Legionär hat je den Boden SchleswigHolsteins betreten; und von der süd1ändischen Kultur waren ihnen nur einige Importartikel des Handels bekannt geworden. Erst in ihren Niederlassungen an der flandrisch-gallischen Küste lernten die Sachsen die römische Kultur in ihrer Gesamtheit kennen; (s. meine Untersuchung der lateinischen Kulturwörter im Angelsächsischen, Waldb. u. Kulturpfl. 566-589).

§ 7. Von hier ist dann wohl auch der Hauptstrom der Sachsen nach Britannien übergesiedelt (vgl. Bremer PGrdr. III 859; Heuser IF. 14, Anz. 27 f.; Hoops 582; Schmidt 161) und hat die Südküste des Landes in Beschlag genommen, während die Angeln mit dem größten Teil ihres Volks direkt von der schleswigschen Heimat aus nach Britannien übersetzten und von der Ostküste her ins Land eindrangen.

Die endgültige Eroberung der Insel freilich scheint mit einer Ansiedlung jütischer Scharen unter Führung von Hengist und Hors auf der Insel Tanet an der Ostküste von Kent (nach britischen Quellen im J. 428) ihren Anfang genommen zu haben. Sie waren von dem Oberkönig der Briten Wortigern gegen die räuberischen Einfälle der Pikten und Skoten zu Hilfe gerufen worden, die seit dem Abzug der römischen Legionen (etwa 407) das Land verheerten.

§ 8. Im Lauf des 5. und 6. Jhs. wurde der größte Teil der Insel von der Südküste bis in die schottischen Niederlande von den germanischen Scharen erobert; die Briten wurden entweder unterworfen und assimiliert oder in die Gebirge des Westens zurückgedrängt, wo sie sich teilweise bis in die Gegenwart mit ihrer nationalen Sprache behauptet haben. Die Einzelheiten der Eroberungskämpfe gehören der politischen Geschichte an und fallen außerhalb des Rahmens dieser Darstellung. Über die Art der Besiedlung vgl. 'Siedlungswesen'. § 9. Von den germanischen Eroberern besetzten die Jüten Kent, die Insel Wight und den ihr gegenüberliegenden Küstenstrich in Hampshire, der noch zu Bedas Zeiten eine jütische Enklave in

Wessex bildete (Futarum natio nominatur). Den übrigen Süden der Insel bis nördlich der Themse nahmen die Sachsen ein, die zu Bedas Zeiten in Ostsachsen (Eastseaxan, heute Essex), Südsachsen (Sudseaxan, heute Sussex) und Westsachsen (Westseaxan, ne. Wessex) zerfielen. Der ganze Rest des germanischen Teils von Britannien gehörte den Angeln, bei denen Beda Orientales Angli, Mediterranei Angli, Merci, tota Nordanhymbrorum progenies.... ceterique Anglorum populi unterscheidet.

§ 10. Die Eroberung Britanniens durch die Angelsachsen blieb nicht auf die militärische Unterwerfung beschränkt, sie wurde durch Einwanderung und Ansiedlung größerer Volksmassen vervollständigt. Britannien ist bei seiner peripherischen Lage wohl nie so vollkommen romanisiert gewesen wie andere römische Provinzen, und wenn auch nach dem Abzug der Legionen sicher noch Lateinisch redende Bewohner im Lande blieben (Pogatscher Z. Lautl. d. griech., lat. u. rom. Lehnw. im Altengl. S. 2 ff.), so befanden sich die eingewanderten Angelsachsen ihnen wie den. Briten gegenüber doch wohl bald in der Überzahl. Darum sind sie nicht, wie die siegreichen Germanenstämme in andern römischen Provinzen und wie später die normannischen Eroberer, in der Masse der Unterworfenen aufgegangen, sondern haben diesen ihre Sprache aufgezwungen und haben auch nach der Übernahme der römischen Kulturerrungenschaften und nach der Bekehrung zum Christentum zäh und stolz den Kern ihrer nationalen Eigenart behauptet.

§ 11. In der Benennung der ger

manischen Bewohner Britanniens herrscht bei den zeitgenössischen Schriftstellern ein merkwürdiges Schwanken: sie werden bald Sachsen, bald Angeln, bald Angelsachsen genannt.

§ 12. Die Kelten Britanniens bezeichneten ihre germanischen Bezwinger unterschiedslos als Sachsen' (akymr. Saeson), ihre Sprache als Sächsisch (akymr. Saesneg) und nennen sie so bis auf den heutigen Tag (kymr. saesneg, korn. sasnec, bret. saoznek, ir. sasannac, gäl. sasunnach 'englisch'; gäl. Sasunn 'England', kymr.

Sais, bret. Saoz, pl. Saozon 'Engländer'). Diese Tatsache erklärt sich zweifellos dadurch, daß die Sachsen die ersten waren, die den Briten wie den Romanen Galliens als imponierende Seemacht entgegentraten, was ja durch die Angaben der Notitia dignitatum über die litora Saxonica in Gallien und Britannien (oben § 5) vielleicht schon für das 3. Jh. bestätigt wird. Auch die Südgallische Chronik im 5. Jh. bezeichnet die Eroberer Britanniens als Sachsen: Brittanniae usque ad hoc tempus variis cladibus eventibusque laceratae in dicionem Saxonum rediguntur (z. J. 441-2: MGAA. 9, 660 f.). Saxones, Saxonia war augenscheinlich der älteste Gesamtname der Inselgermanen bei den Kelten wie bei den kontinentalen Völkern (Freeman Norm. Conqu. 2 533).

§ 13. Unter dem Einfluß des keltischen und gallischen Sprachgebrauchs verwenden die lateinischen Autoren Englands und des Kontinents in der älteren Zeit ganz allgemein die Ausdrücke lingua Saxonica, Saxonice für die Sprache, Saxones, Saxonia für Volk und Land der Engländer im weiteren Sinne (vgl. Freeman aaO. 530 bis 534). Wie die Lateinisch schreibenden Chronisten es liebten, statt Britannia den seltneren und archaistischer klingenden Namen Albion zu gebrauchen, so schrieben sie auch Saxonia, Saxonice als herkömmliche Ausdrücke des Kanzleistils in England noch zu einer Zeit, als in der Volkssprache längst Angelcyn, Engle, englisc durchgedrungen waren.

§ 14. Aber neben Saxones, Saxonia, Saxonice treten in lateinischen Texten frühzeitig auch die Namen Angli, Anglia, Anglice auf. Schon in einem Brief des Papstes Gregor an den jütischen König Æthelberht von Kent von 601 (Beda I 32) wird dieser als rex Anglorum betitelt! Beda († 735) nennt seine Kirchengeschichte Historia ecclesiastica gentis Anglorum; und daß er hier nicht die Angeln allein, sondern die Engländer überhaupt im Sinne hat, spricht er gleich im 1. Kap. aus, wenn er sagt, es würden in Britannien fünf Sprachen gesprochen: Anglorum videlicet, Britonum, Scotorum, Pictorum et Latinorum; und bei Zeitbestimmungen bedient sich Beda immer des Ausdrucks ab adventu Anglorum

in Britanniam. Daneben verwendet er gelegentlich Saxones ebenfalls im weiteren Sinne. Ähnlich schwanken Ethelweard, Henry v. Huntingdon ua. zwischen Angli und Saxones, anscheinend je nachdem sie britischen oder englischen Quellen folgen (Freeman aaO. 532). Doch werden die Bezeichnungen Angli, Anglia mit der Zeit in den lat. Texten immer häufiger und verdrängen schließlich nicht nur bei insularen, sondern auch bei kontinentalen Schriftstellern die andern vollständig, so daß sie bei den Chronisten des 10. und II. Jhs. schon entschieden vorherrschend sind (Freeman 531).

§ 15. Die angelsächsischen Schriftsteller aber nennen, sobald sie in ihrer nationalen Mundart schreiben, ihre Sprache von den ältesten literarischen Zeiten an nie anders als englisc, dh. 'anglisch' und ihr Volk und Land auch schon sehr früh und mit zunehmender Häufigkeit Angelcynn, Angelpeod, dh. 'Angelnvolk', einerlei, ob sie selbst dem Stamm der Angeln oder der Sachsen angehören. Alfred d. Gr., der König von Westsachsen war (871-901), bezeichnet in seinen Werken seine Sprache ausnahmslos als englisc 'anglisch', die ags. Schrift als englisc gewrit, wie er auch seine Untertanen meist Angelcynn nennt (so in der Vorrede zu seiner Übersetzung von Gregors Cura Pastoralis). Auch in der ags. Beda-Übersetzung, in der Sachsenchronik und bei Ælfric (um 1000) finden sich eine Reihe ähnlicher Stellen, wie on Engliscre spræce, on Engliscum gereorde, on pare Engliscan bec mit Bezug auf die verschiedensten Teile des Landes. Angelcyn ist die gewöhnliche Benennung Englands bis zur Dänenzeit; vom 11. Jh. an tritt Englaland an seine Stelle. Wenn neben Engle, Angelcyn auch Seaxan vorkommt, so werden damit doch fast immer nur die Sachsen im engeren Sinne bezeichnet, weshalb das Wort auch meistens mit den geographischen Attributen West-, East-, Sup- verbunden erscheint; nur einmal in der Sachsenchronik z. J. 605, in einer Rede Augustins an die britischen Bischöfe, wird Seaxan im weiteren Sinne gebraucht; hier liegt aber wohl eine Übersetzung aus einer lat. Quelle vor. § 16. Die Vereinigung der beiden Namen zu dem Ausdruck Angel

sachsen ist kontinentalen Ursprungs. Sie tritt zuerst um 775 bei Paulus Diaconus in seiner Historia Langobardorum auf; hier sind die Wörter noch nicht zu einem wirklichen Kompositum verschmolzen, sondern stehen selbständig nebeneinander als Angli Saxones oder Saxones Angli: 4, 22 Vestimenta... qualia Angli Saxones habere solent; 5, 37 ex Saxonum Anglorum genere duxit uxorem; 6, 15 Cedoald rex Anglorum Saxonum. Später wurden sie dann zu einem Kompositum Angli-Saxones, AngloSaxones ua, zusammengezogen. Der Ausdruck bedeutete ursprünglich offenbar die englischen Sachsen, die Inselsachsen im Gegensatz zu den Sachsen des Festlandes, den alten Sachsen, die von Paulus Diaconus vetuli Saxones, in der Orosius-Übersetzung Alfreds d. Gr. und in der Sachsenchronik Ealdseaxan genannt werden. Aber wie Saxones wird auch Anglo-Saxones sehr bald von den Inselgermanen im allgemeinen gebraucht, so schon in dem zwischen 823 und 829 abgefaßten Leben Alkuins, wo ein Presbyter und auch Alkuin selbst, der Angle war, als Engelsaxo bezeichnet. werden: Aigulfus presbiter, Engelsaxo et ipse (MGS. 15, 193), während Einhard (Vita Caroli 25) Alkuin Saxonici generis homo nennt. Ähnliche Doppelnamen kommen schon in antiken Schriftstellern vor, z. B. Συῆβοι Αγγελοι und Συβοι Zéuvoves bei Ptolemaeus II 11, 8. Σέμνονες

§ 17. Vom Kontinent verbreitete sich der Ausdruck 'Angelsachsen' nach England und war hier namentlich in der ersten Hälfte des 10. Jhs. und vereinzelt noch im II. Jh. zur Bezeichnung des königlichen Titels in der Form rex Angul-Saxonum oder auch mit halb oder ganz anglisierter Fassung als rex Anglo-Saxona oder Angulsæxna, saxna allgemein üblich (Freeman aaO. 535 f.; Knothe 23 u. A. 2). Vielleicht hat ihn Alfred d. Gr. angenommen, als 886 alle bis dahin zerstreuten oder von den Dänen gefangen genommenen Angeln und. Sachsen sich ihm als dem einzigen einheimischen König anschlossen und unterwarfen (W. H. Stevenson, Asser's Life of King Alfred 148). Seine Vorfahren hatten den Titel Saxonum rex oder Occidentalium Saxonum rex geführt; er selbst nennt sich in seinen literarischen Werken einfach

Alfred cyning und in seinem Testament, das zwischen 873 und 888 abgefaßt ist, 'König der Westsachsen'. Aber daß er seinen Titel änderte, zeigt eine Münze, auf der er als rex Anglo erscheint, was entweder in Anglorum oder Anglosaxonum aufzulösen ist. Gleichzeitige Urkunden von ihm sind nicht erhalten; in einer Urkunde von 880 aus dem zuverlässigen Textus Roffensis (Birch Cart. Sax. 2, 168) wird er rex Saxonum, dagegen in einer gleichfalls glaubwürdigen Urkunde v. 889 (ebd. 2, 200 f.) rex Anglorum et Saxonum genannt, und Asser in seiner Lebensbeschreibung des Königs nennt ihn rex Angul-Saxonum oder Anglorum Saxonum rex. Der Titel stellt eine Zwischenstufe zwischen rex Occidentalium Saxonum und rex Anglorum dar und wurde, wie Stevenson (aaO. 149. 151) wohl mit Recht vermutet, benutzt, um auch im Titel die politische Vereinigung der Angeln und Sachsen anzudeuten. Seit Eadgars Thronbesteigung 959 kommt er außer Gebrauch und wird durch den Titel rex Anglorum ersetzt, den schon Æthelstan (924—40) angenommen hatte, als er tatsächlich König von ganz England wurde, während er sich vorher rex Saxorum (sic) nannte. Rex Anglorum ist dann der offizielle Titel der englischen Könige bis lange nach der normannischen Eroberung geblieben (Stevenson 150 f.).

§ 18. Daß unter 'Angelsachsen' in den obigen Titeln die gesamten germanischen Bewohner Englands gemeint sind, ergibt sich besonders deutlich aus zwei Urkunden in ags. Sprache. In der spätags. Übersetzung einer lat. Urkunde v. 934 (Birch CS. 2, 410) heißt es: Ic Epelstan, OngolIc Epelstan, OngolSaxna cyning and brytenwalda eallas dyses Iglandes, wo das Original hat rex et rector totius hujus Brittanniæ insule; und in einer Urk. Eadreds v. 955 (ebd. 3, 71): He hafað geweorðad mid Cynedome Angulseaxna Eadred cyning and casere totius Brittanniæ.

§ 19. Eine Sonderstellung nimmt eine Reihe von Urkunden aus dem ganzen 10. Jh. von Æthelstan bis Æthelred ein, in denen die Northumbrier getrennt von den übrigen Angelsachsen aufgeführt werden; so in einer Urk. Eadmunds v. 946

(Birch CS. 2, 576), wo es von dem König heißt, daß er regimina regnorum Angulsaxna and Norphymbra, Paganorum (d. i. der Dänen) Brettonumque... gubernabat. Weitere Belege bei Stevenson 148, A. 2. Vielleicht war der Gegensatz zwischen dem Norden auf der einen, dem Mittelland und Süden auf der andern Seite, der später zu der nationalen Trennung von Schottland und England führte, schon im 10. Jh. ausgeprägt.

§ 20. Übrigens ist der Ausdruck 'Angelsachsen' in dieser Periode durchaus eine Phrase des rhetorischen Kanzleistils geblieben. Von den vereinzelten obigen Belegen aus ags. Texten abgesehen, kommt er nur in lateinischen oder gemischten Urkunden vor. Volkstümlich ist er nicht geworden: nie wird er von der Sprache gebraucht, nur ganz vereinzelt tritt er außerhalb von Titeln auf (Stevenson 149, A. 4), und nur wenige Male kommt Angulsaxonia als Name des Landes vor (Freeman 534-536; Knothe 23, A. 4). Nach kurzer Blüte im 10. Jh. ging der Ausdruck bald wieder unter und war nach der normannischen Invasion Jahrhunderte lang vergessen, bis ihn Camden in seiner Britannia (1586) von neuem in die Sprache einführte (s. Murray NED. sv. 'Anglo-Saxon').

§ 21. Das Schwanken in der Benennung der germanischen Eroberer Britanniens und seine frühzeitige Entscheidung zugunsten der Angeln stellt ein Problem dar, dessen Beurteilung für die Auffassung der Entstehung der englischen Nation von Belang ist. Es ist mehr. fach erörtert, in seiner historischen Bedeutung aber nur von wenigen gewürdigt worden; eine völlig befriedigende Erklärung hat es bislang nicht gefunden. Über ältere Deutungsversuche vgl. Knothe Angelsächsisch oder Englisch S. 12—15. neueste und umfassendste Besprechung hat es durch Chadwick in seinem sehr anregenden und inhaltreichen Buch The Origin of the English Nation (1907) erfahren.

Die

§ 22. Ch. nimmt an, daß die Sachsen und Angeln auf dem Festlande trotz unmittelbarer Nachbarschaft ursprünglich nicht näher verwandt gewesen seien (S. 301 f.). Nachdem aber die Sachsen, viel

schen Eroberer Britanniens zerfielen nicht in drei, sondern nur in zwei deutlich getrennte Nationalitäten: die Jüten und die

leicht durch einen Druck vom Rücken her getrieben, seit dem 3. Jh. westwärts über das Meer neue Wohnsitze aufzusuchen begannen (S. 302), seien die Zurückgebliebe-,,Angelsachsen", die durch ihr Wergeld

nen, wie man aus einer bei Saxo aufgezeichneten dänischen Überlieferung schlieBen könne, von einem König Helgi, in dem Chadwick einen Angelnkönig vermutet, zu Anfang des 5. Jhs. unterworfen worden. und mit den Angeln zu einem Volk verschmolzen (S. 298-302). Die durch die Aufsaugung der Sachsen verstärkten Angeln, von den Kelten als 'Sachsen' bezeichnet, seien dann die Eroberer Britanniens geworden. Die unterworfenen Sachsen hätten aber allmählich die Oberhand in dem Staatswesen erlangt, während die Nachkommen der Angeln sich zu einer Militär-Aristokratie verflüchtigten (S. 302). So will Chadwick die von ihm dargelegte Erscheinung erklären, daß die Angeln und Sachsen ein niedrigeres Wergeld hatten als die Jüten und andern Nachbarvölker. Bedas Unterscheidung der Angeln und Sachsen als besonderer Stämme sei lediglich das Ergebnis einer Theorie, die er zur Erklärung der Stammesnamen Wessex, Essex, Sussex auf der einen, Ostanglien und Mittelanglien auf der andern Seite sich gebildet habe (S. 58. 86). In der Praxis behandle auch er die beiden Stämme als identisch, so wenn er von der gens Saxonum sive Anglorum spricht oder die ersten Ankömmlinge bald Sachsen, bald Angeln nennt, während Jüten gemeint sind (S. 59). Die Namen Essex, Sussex, Wessex, Ostanglia usw. seien nicht sehr alt, sondern hätten ältere Stammesnamen wie Geuissae, Wuffingas ua. verdrängt. Das Volk von Essex habe den Sachsennamen von seiner echt sächsischen Dy. nastie erhalten; ähnlich sei es vielleicht in Sussex gewesen, während Wessex nach Ch. einfach ein Absenker von Essex oder

Sussex war. Die,,sächsischen" Königreiche enthielten zweifellos viele ursprünglich sächsische Elemente, aber nicht mehr als die,,anglischen". Da die Völkermischung schon auf dem Kontinent erfolgt war, kann bei der Bevölkerung der,,anglischen" und,,sächsischen" Reiche in England von einer Stammesverschiedenheit nicht mehr die Rede sein. Die germani

system geschieden waren; aber die Jüten hatten schon vor dem 8. Jh. Namen und Nationalität aufgegeben und wurden ebenfalls als ein,,angelsächsischer" Stamm betrachtet (S. 87-89).

§ 23. Chadwick hat in dieser Hypothese, die in ihrem Grundgedanken an Greens Annahme eines kontinentalen Völkerbundes zwischen Angeln, Sachsen und Jüten unter anglischer Führung (bei Knothe 12 f.) anklingt, manche wichtigen, bisher nicht genügend beachteten oder verkannten Punkte ans Licht gezogen; seine Ausführungen sind ungemein anregend und fördernd, aber seine Theorie als ganze ist zu konstruktiv, tut den Tatsachen Gewalt an und ist deshalb unhaltbar. Im folgenden sei eine andre Erklärung gewagt, die sich mehr an die historischen Tatsachen zu halten sucht.

§ 24. Daß die Angeln und Sachsen

nicht schon auf dem Festland zu einer Nation verschmolzen waren, sondern als getrennte Stämme Britannien besiedelten, wird durch verschiedene Tatsachen erhärtet.

a) Der Umstand, daß die Kelten Britanniens die germ. Eroberer sämtlich 'Sachsen' nennen, zeigt nicht nur, daß die Sachsen die ersten waren, die ihnen als imponierende Seemacht entgegentraten (ob. § 12); auch bei der endgültigen Eroberung des Landes muß ein erhel licher Teil der Eindringlinge sich 'Sachsen' genannt haben: wären die germanischen Volksscharen, die im 5. und 6. Jh. den größten Teil der Insel überschwemmten und besiedelten, den Briten unter dem einheitlichen Namen 'Angeln' entgegengetreten, so hätten sie diesen Namen sicherlich dem Gedächtnis der Besiegten eingeprägt. Die Romanen. Galliens haben die germanischen Eroberer ihres Landes 'Franken', nicht 'Sveben' oder 'Goten' genannt.

b) Ferner sind die Stammesnamen Essex, Sussex, Wessex, Ostanglia usw. in ihrer geographischen Gliederung wohl jüngeren Datums, aber in ihrer Scheidung von Angeln und Sachsen beweisen sie doch, daß

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