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falls sie ihn nicht schon früher besaß. Ermenrich brachte aus der Harlungensage den bösen Rat Sibeche mit herüber, der nun auch in der D.-dichtung der Urheber der Untat wurde, und Sibeches Gegenbild, Eckehart, trat zu D.s Partei. Die Quedlinburg. Ann. c. 1000 kennen Ermenrich in dieser neuen Rolle: also zwischen dem Hildebrandsliede und dem ausgehenden 10. Jh. ist diese Umgestaltung erfolgt. 2. Die Handlung ist komplizierter und weniger dramatisch geworden: vom Hunnenhofe aus macht D. einen ergebnislosen Eroberungsversuch; Jahre später, nachdem Ermenrich eines natürlichen Todes gestorben ist, zieht er friedlich in sein Erbreich ein. Diese sonderbare Abschwächung beruht darauf, daß der neue Gegenpart, Ermenrich, nach alter Sage durch die Brüder Hamadeo und Sarulo sein Ende fand. Diese Tatsache ließ man zunächst unangetastet; noch Eckehard von Aura c. 1100 kennt sie. Geraume Zeit mithin erzählte man die Exilsage so, daß D. dank der Tat jener Brüder den leeren Thron seines Erbfeindes einnehmen konnte. Dann aber trat eine zwiefache Anpassung ein. Man setzte D. an die Stelle der zwei Brüder diese entschieden glücklichere Lösung lebt fort in dem nd. Liede Ermenrikes Dot. Die in den hd. Epen bezw. der Þiðreks saga ausmündende Dichtung begnügte sich, die Tat der Brüder zu beseitigen; so brauchte D. nicht mehr die Frucht fremden Verdienstes einzuheimsen, aber sein kampfloser Einzug in die Heimat blieb bestehen. Daß D. beim Burgundenuntergang all seine Mannen verloren hatte und auch Etzel ihm nun keine Streitmacht mehr stellen konnte, ist eher die Folge als die Ursache der eben erwähnten Umbildung: hätte D.s kriegerische Rückkehr festgestanden, dann hätte sich die Burgundensage leicht angepaßt. Man hat vermutet, die große Schlacht vor Raben, die jetzt zu dem vergeblichen Eroberungsversuche gehört, sei auf ältrer Stufe ein Teil der siegreichen Heimkehr gewesen.

§ 5. Das Schicksal des mhd. D. hat mit seinem historischen Urbilde blutwenig Ähnlichkeit; gleichzeitig aber enthalten die Quellen des 13. Jhs. erstaunlich viele Einzelheiten, die mehr oder weniger sicher

aus der gotischen Geschichte stammen. a) Zuständliches: die Namen Amelunge, Dietrich und Dietmar; daß der Vater zwei Brüder hat, D. keine Söhne; die Städte Bern und Raben, Verona und Ravenna (die übrigen sind späte Zutat). b) aus den Kriegen mit Odoaker: die verräterische Übergabe Rabens durch Witege (D. Flucht) dem Verrat Tufas an Theoderich. c) aus Th.s Jugend: Diether: Theodemund, Th.s Bruder, 479 zuletzt auftretend; Dietrich von Kriechen (Þs.: Þiðrekr Valdimarsson): Theoderich Strabo, ein got. Freischarenführer in oströmischem Dienste. d) aus der Gotengeschichte vor Theoderich: Theodemers Verbindung mit Attila (s. o.); daher überhaupt die Vorstellung vom Hunnenhofe und die Namen Etzel, Blædel, Helche, Erphe, s. Attila. Hildebrand in der Rolle als Waffenmeister, Ziehvater kann den Gensimundus fortsetzen, der nach Cassiodor dem jungen Theodemer und seinen zwei Brüdern die Krone rettete (c. 430) und dafür 'toto orbe cantabilis' wurde; er ist also, gleich den hunnischen Beziehungen, eine Verpflanzung vom Vater auf den Sohn. Witege ist der Westgote Widigoia, der noch in der ersten Hälfte des 4. Jhs. durch die Sarmaten fiel und der bei Jordanes c. 5 unter den besungenen Vorzeitshelden genannt wird. Die älteste geschichtlich erkennbare Gestalt der germ. Sage. Die Sarmaten ersetzte man durch die Hunnen: Witege kämpft gegen das von Etzel gestellte Hilfsheer, er endet allerdings durch D. (s. unten). Ohne historisches Gegenbild ist sein Genosse und z. T. Doppelgänger Heime. Schon der Widsio 124 ff. preist die Kriegstaten der beiden, Wudga und Hāma; die Gegner sind nicht genannt, denn die Stelle Z. 119-122 fällt in einen andern Zusammenhang (s. Hunnenschlacht). Es ist auch unsicher, ob der Wids. die zwei Helden in Verbindung mit Ermenrich denkt. Da mindestens bei Witege die Gegnerschaft zu den Hunnen (< Sarmaten) primär ist, wird er zunächst an D. geschlossen worden sein, denn Ermenrich hatte bis ins 9. Jh. mit den Hunnen gar nichts zu tun; mit D. verbunden erscheint Widia zuerst im Waldere B. Endlich die Tötung der zwei jungen Etzelsöhne, die

Hauptfabel des Epos Dietrichs Flucht. Sie kann zurückgehen auf den Fall des ältesten Attilasohnes Ellac in der Schlacht gegen Goten und Gepiden a. 454 in Pannonien. Die Sage hat die Tat auf Witege übertragen und D. zum Rächer gemacht.

§ 6. So hat D.s Exilsage Namen und Vorgänge aus einem sehr langen Zeitraume, von c. 330 bis 493, an sich gezogen: das Hauptbeispiel von epischer Attraktion. Gelehrte Entlehnung aus Chroniken ist nirgends zu vermuten. Diesen ganzen Stoff hat die Dichtung einheitlich disponiert, so zwar, daß die Hunnen als D.s Helfer durchweg die günstig beleuchtete Partei, die Masse der Goten unter Ermenrich die Gegenspieler bilden. Das Persönliche hat sich das Politische ganz unterworfen; die Taten Widigoias und die Tötung des Attilasohnes erscheinen, dem nationalen Standpunkte zuwider, als beklagenswerte Vorfälle.

§ 7. Die große Frage ist nun, in welcher Gestalt diese außergewöhnliche Fülle von geschichtlichen Data den obd. Dichtern zukam. Bei der Annahme ganzer Liederzyklen, die das Gotenschicksal durch die Jahrzehnte hin gespiegelt hätten, macht man sich die Natur des germ. Heldenliedes nicht klar. Aber auch die entgegengesetzte Meinung, daß die Deutschen nur die einzelnen Brocken aus der Gotengeschichte aufgefangen und dann selbst erst den poetischen Aufbau geschaffen hätten, rechnet mit abnormen Bedingungen. Am ungezwungensten erscheint eine mittlere Ansicht: zwei gotische Heldenlieder haben diesen ganzen Stoff überliefert. Das eine erzählte D.s Exilsage, das andere den Fall der Etzelsöhne durch Witege. Ob und wie diese zweite Fabel an D. angeknüpft war, wissen wir nicht; für eine bloße Einlage der Exilsage hat sie zu viel Eigengehalt, das zeigt sich noch in der Behandlung des 13. Jhs.

§ 8. Bildete die Exilsage einen Liedinhalt, so kann sie nicht einfach berichtet haben, daß ein Fürst durch einen andern vertrieben wird und dann mit Hilfe eines fremden Königs seinen Thron zurückgewinnt. Dies wäre Stoff für ein paar formelhafte Verszeilen; die Hauptsache

Was

würde fehlen, die heroische Seele. war das menschliche Motiv? Es kann wohl nur das der Dienstmannen- und Herrentreue gewesen sein. So wie D.s Flucht es vorträgt, hat es ja etwas von verstiegenem Edelmut (W. Grimm S. 407); aber das Dilemma, die gefangenen Mannen zu opfern oder das Land zu räumen, ließe sich christlich-gotischer Heldendichtung des 6. Jhs. schon zutrauen. Eine andre Möglichkeit wäre, daß Gensimund-Hildebrands Aufopferung für seinen jungen. Herrn den Hauptakzent trug, D. mehr der Empfangende war. In beiden Fällen war die Sage eine Geistesverwandte von Wolfdietrichs Dienstmannen drama. Die Verschiedenheiten im Detail sind groß genug, daß man zwei in Entstehung und weiterer Ausbildung unabhängige Dichtungen anzuerkennen hat.

§ 9. In unsrer Überlieferung ist D.s Exilsage kein organisches Gewächs mehr wie die Sigfrid-Burgunden sage, die Hilde-, Kudrun-, auch die Wolfdietrichsage. Sie ist in Stücke zerschlagen; keine einzige Dichtung umspannt ihren ganzen Grundriß, und hängt man sie alle drei oder vier aneinander, so entsteht ein Lebensroman, nicht eine monozentrische Heroenfabel. D.s Stammsage ist zu einem Behälter geworden für viel geschichtlichgeographischen Stoff, alten und jungen, für Massenaktionen und für epische Episoden, worin D. verschwindet. Es ist ein durchaus abnormes Gebilde innerhalb der gesamten germ. Heldendichtung, nicht geeignet, als idealer Maßstab zu dienen; WO es die Phantasie der Forscher bestimmte, hat man eine 'Sage' zu sehr als Episodenhaufen mit strategisch-politischem Faden, zu wenig als einheitliche und menschliche Fabel gewürdigt.

§ 10. Von einem Porträt des sagenhaften D. kann man zuerst im Nibelungenlied reden. Es liegt ebenso weit ab von den mehr typischen Umrissen der jugendlichen Idealkrieger (Sigfrid, Walther, Beowulf, Hagbard, Hialmar, Helgi Hundingstöter) wie von den durchfurchten Zügen der Meister, die in Starkað gipfeln. Es ist eine Verbindung von Milde und Kraft, der man nur das (so viel skizzenhaftere) Bild Hrólf krakis vergleichen kann. Aber bei D. kommt

dazu jener Unterton von Dulden, der ihm die tiefe Resonanz gibt. Wieweit diese vornehme, etwas schwere, halbdunkle Fürsten, nicht Kämpenart, eine Synthese von altem Germanen und christlichem Ritter, in dem Exilliede des 6. Jhs. vorbereitet war, steht dahin. Schon der geschichtliche Theoderich war maẞvoll und tapfer, selbstbeherrscht und leutselig. Aber auch aus der gegebenen epischen Rolle war das Porträt der Dichtung, wie wir es kennen, herauszuspinnen.

§ 11. D.s Abenteuer mit Riesen, Zwergen und Drachen, die den Inhalt mehrerer mhd. Epen und Abschnitte der Ps. bilden, werden ihrer Hauptmasse nach spielmännische Neuschöpfung des 12., 13. Jhs. sein. Die Eckengeschichte kann der urkundl. Name ae. Ecga, Ecca, ahd. Eggio, Ecko nicht als alt erweisen, zumal der Sagenname vermutlich eine ätiologische Erfindung zu dem Schwerte Eckesahs ist (Boer). Die Die Episode der isl. Hrólfs saga Gautrekssonar c. 35 ff., die mit einem Stücke der Virginal verwandt ist, kann c. 1200 nach Island gelangt sein, Hyndlulióð 22. 25 fordert kein höheres Alter. Dagegen die halbklare Anspielung des Waldere B: 'Witege empfing Lohn von D., dafür daß er ihn aus Klemmen los machte; durch das Gefilde (?) der Unholde eilte er (D.?) davon' ist wahrscheinlich so zu fassen, daß D. bei Riesen gefangen war und von W. befreit wurde. Von den drei vergleichbaren Erzählungen mhd. Epen (in Virginal, Sigenot, Laurin) steht am nächsten Virg. 314 ff. nebst der Variante Alphart 252 f.: Witege befreit D. (und) Heime) aus Kerkerhaft bei einem Riesen. Der Kern dieser Geschichte scheint also durch den Waldere für das 9. Jh. bezeugt zu werden. Der Anstoß dazu, dem Helden der lebenstreuen Exilsage ein Trollenabenteuer anzudichten oder anzuhängen, verbirgt sich uns; brachte Witege die Riesensage mit? Bei dem spätern Aufsprießen von Drachen- und Zwergenkämpfen kann. der Wunsch gespielt haben, nach dem Vorbilde von Jung Sigfrid auch Jung Dietrich mit märchenhaft bunten Lehrjahren auszustatten.

Uhland Schriften 1, 41 ff. 405 ff., 8, 334 ff. Müllenhoff ZfdA. 12, 253 ff. Heinzel

Ostgot. Heldensage 1889. Jiriczek Deutsche Heldensagen 1; 1896. Schönbach Wiener Sitzungsber. 1897. Brandl Herrigs Archiv 120, 1 ff. Schück Rök-Inskriften 1908. Boer Arkiv 24, 103 ff. 260 ff. [Die Sagen von Ermanarich u. D. 1910.] Zu § 11: Freiberg PB Beitr. 29, 1 ff. Boer ebd. 32, 155 ff. Lassbiegler Btr. z. Gesch. der Eckendichtungen 1907. A. Heusler.

Dill (Anethum graveolens L.). Küchenund Heilpflanze, in Südeuropa heimisch: gr. vndov, woraus lat. anethum, anētum. Die Pflanze ist wohl durch die Römer nach dem Norden eingeführt und hier auf germ. Boden irgendwo mit einem einheimischen Namen benannt worden, der sich dann über das ganze west- und nordgerm. Sprachgebiet verbreitete: and, dilli m., mnd. mndl. nndl. dille, nnd. dill; ahd. tilli, mhd. tille, nhd. (aus Nd.) dill m.; ae. dile m., me. dile, dylle, ne. dill; dän. dild, schwed. dill, dazu eine Nebenform mit y: adän. dylle (Falk-Torp). Urgerm.

*diliz, *dilja-, *dulja- ist vielleicht mit nhd. dolde f., ahd. toldo m. 'Krone einer Pflanze, Blütendolde' verwandt; der Dill wäre dann als Umbellifere nach seiner Dolde benannt. Aus dem Engl. stammt gäl. dile, aus dem Nd. lit. dilė (meist plur. dilės), lett. dile, estn. till 'Dill'.

Johannes Hoops.

Ding, Gerichtsversammlung. A. Süden. § 1. Ausdrücke. § 2. Gerichtsstätte. § 3. Gerichtszeit. § 4. Hegung. § 5. Äußerliche Anordnung. § 6. Dingpflicht.

§1. Ausdrücke. Ahd. ding, langob. thinx, ags. ping, aus vorgerm. *tenkos (tempus), daher wohl Grundbedeutung 'Termin', bezeichnet wie jede öffentliche Versammlung, so im besondren die (zu bestimmten Terminen stattfindende) Gerichtsversammlung. Andere bei den Südgermanen für beide Arten von Versammlungen übliche Bezeichnungen sind germ. mapla-, got. mapl, ahd. madal, ags. mapl, as. mahal, frankolat. mallus, mit dem got. Verbum mapljan 'sprechen' zusammenhängend, daher =

'Sprache, Besprechung', wie denn das ahd. spracha gleichfalls im Sinne von 'Gericht' gebraucht wird und noch im MA. von 'Morgensprache, Bauern sprache' uä. die Rede ist. Die Angelsachsen verwenden das Wort gemōt wie

für Staatsversammlung (Reichstag), so für jedes weltliche Gericht im Gegensatz zur kirchlichen Versammlung. Unsicher ist die Bedeutung von fries. warf, as. hwarf (vgl. Heck Altfries. Gerichtsverfassung, Weimar 1894, 423 ff. und Siebs ebenda), ein wahrscheinlich auch den Langobarden und Baiern bekannter Ausdruck. Das jüngere deutsche Wort 'Gericht' (ahd. gerihti) bedeutete ursprünglich Rechtsprechung, Richtung des aus der Reihe geratenen Rechtsverhältnisses; erst im MA. wurde es zur Bezeichnung der Gerichtsversammlung oder der Gerichtsstätte verwendet.

Die Ger

§ 2. Gerichtsstätte. manen hielten ihre Gerichte unter freiem Himmel, die großen Volksversammlungen wohl meistens auf weiten Ebenen, die kleineren mit besondrer Vorliebe auf Berg und Hügel (daher bei den Franken der Ausdruck malloberg), häufig unter Bäumen, bei großen Steinen; aber auch in Wäldern und Hainen. Für die Wahl des Ortes fiel bestimmend ins Gewicht, daß man Gericht und Gerichtsstätte den Göttern zu weihen pflegte, um sie unter deren Schutz zu stellen. Deshalb wurden die Gerichtsversammlungen gern an Kultstätten abgehalten. Als eigner Gott der Dingversammlung scheint der Kriegsgott Ziu (Tiu) verehrt worden zu sein. Als Gott des Dinges führte er den Beinamen Thingsus, wenn anders die 1883 im nördlichen England am Hadrianswall aufgefundene Weihinschrift tuihantischer, d. h. wohl friesischer Krieger aus der holländischen Landschaft Twente, in diesem naheliegenden Sinn verstanden werden darf (dagegen Siebs, v. Amira). Auch der Umstand, daß unser Dienstag (= 'Tag des Tiu') in ma. niederländischen Rechtsquellen und auch noch in der neueren ndl. Sprache Dingstag (= "Tag des Dinges') heißt, spricht für jene Annahme. Die alte Sitte, unter freiem Himmel Recht zu sprechen, wurde im allgemeinen zähe festgehalten. Allerdings tagte das Hauptgericht Kents. bereits im 7. Jh. zu London im Königssaal (Liebermann). Die von den Karolingern erlassenen Gebote, die Gerichte zum besseren Schutz der Versammelten in Häuser zu verlegen, scheinen keine

Erst

große Wirkung gehabt zu haben. im MA. trat in den Städten eine gänzliche Abkehr ein; man verlegte hier die Gerichte in die Zunft- oder Rathäuser, wohl auch in eigene Gerichtsgebäude. Aber der häufige Brauch, nicht in geschlossenen Zimmern, sondern in offenen Hallen (Gerichtslauben) zu tagen oder wenigstens Fenster und Türen der Gerichtssäle zu öffnen, erinnerte noch lange an den alten Zustand; auf dem Lande, in den Dörfern, in Burgen, auch in manchen. Städten lebte dieser aber auch das ganze MA. hindurch bis in die Neuzeit fort. Andrerseits wurden in England die Gerichte, die der Grundherr für seine Hintersassen am Burgtor hielt, wohl schon früh in die Halle seines Schlosses verlegt; daher der seit dem II. Jh. bezeugte Ausdruck Hallengericht (halimot) für das Gutshofgericht.

§ 3. Gerichtszeit. Der ursprünglich sakrale Charakter der german. Gerichtsverfassung trat auch in der Wahl der Gerichtszeit zutage. Die Gerichte wurden zu hergebrachten Terminen und zwar, wie es scheint, vielfach im Anschluß an heidnische Opfertage abgehalten, zB. zu Walpurgis. Man hielt Gericht stets nur bei Tage (daher der Ausdruck tagadinc für Gericht) und zwar mit Vorliebe an solchen Tagen, auf die ein Vollmond oder Neumond folgte, weil sie für besonders günstig galten. Dieses zu den ein für allemal feststehenden Zeiten stattfindende Gericht heißt in den deutschen ma. Quellen echtes Ding (in Friesland, Holstein, Altmark auch lutthing = 'Leuteding', in Holland lotting). Die Franken bezeichnen es als mallus legitimus. An ihm ist jeder Dingpflichtige auch ohne besondere Ladung zu erscheinen verpflichtet. Immerhin war es mit dem Begriff des echten Dinges nicht unvereinbar, daß, obwohl der Termin feststand, die Dingleute durch besondere. Ankündigungen, zB. einen herumgesendeten Stab, entboten wurden. Ob in german. Zeit neben diesen echten Dingen auch schon Gerichte bekannt waren, die außerhalb der herkömmlichen Zeiten angesetzt wurden und zu denen stets besonders geladen werden mußte,

ist zweifelhaft. Bei den Franken ist die Unterscheidung von echten und gebotenen Dingen zu allgemeiner Durchführung gelangt. Die echten Dinge fanden bei ihnen in den einzelnen Grafschaften nach je 40 Nächten oder alle 6 Wochen statt, also acht- bis neunmal im Jahre. Die Zahl der auf die einzelnen Hundertschaften fallenden Dinge richtete sich danach, in wieviel Hundertschaften die Grafschaft eingeteilt war; wenn, wie meist, in vier, so kamen auf die Hundertschaft zwei jährliche echte Dinge. Karl der Große verordnete, daß in der Hundertschaft höchstens drei echte Dinge im Jahr abgehalten werden dürften. Die gebotenen Dinge wurden nach Bedürfnis, in der Regel alle 14 Nächte, berufen. Auch bei den Sachsen beruht nachmals die Gerichtsverfassung auf der Unterscheidung zwischen echten und gebotenen Dingen. Dagegen fehlt sie bei Baiern und Alemannen. Bei den Baiern wird alle Monate, bei Bedürfnis alle 14 Tage, bei den Alemannen alle 14 Tage, bei Bedürfnis alle 8 Tage Gericht gehalten. Ebenso wird bei den Angelsachsen nichts von jener Unterscheidung berichtet. Einigen Rechten waren Gerichte bekannt, auf denen die in den echten Dingen nicht erledigten Sachen zu Ende gebracht wurden, sogenannte After- oder N a c hdinge; sie finden sich im MA. bei Sachsen und Friesen. Bei den Saliern erübrigte sich die Ansetzung solcher Dinge wegen der stets notwendigen dreitägigen Dauer des echten Dings. Notgericht, Notding, ist ein über dem auf handhafter Tat ertappten Verbrecher am Ort der Tat abgehaltenes Gericht, zu dem jeder Dingpflichtige herbeieilen muß, der das Gerüfte vernimmt (s. Handhafte Tat). Derartige Notgerichte dürften sicher schon der germanischen Zeit bekannt gewesen sein; im fränkischen Recht sind sie schon früh bezeugt.

§ 4. Hegung. Die Gerichtsversammlung wird wie jede Volksversammlung in feierlichster, rechtsförmlicher Weise durch die Hegung des Dinges, einen ursprünglich sakralen Akt, eröffnet. Die Hegung besteht eines Teils in der räumlichen Einfriedigung, Umhegung des Dingplatzes, die dadurch

geschieht, daß Pfähle, Pflöcke, mit Vorliebe Haselstangen, in den Boden eingelassen und mit Seilen verbunden werden; daher 'das Ding spannen, hegen'. Andern Teils gehören zur Hegung rechtsförmliche Erklärungen, insbesondere die in hohes Altertum hinaufreichenden drei Hegungsfragen ('ob es Dinges Zeit und Ort sei, ob das Ding gehörig besetzt oder gehegt sei, ob dem Ding Friede gewirkt werden solle'). Diese Fragen wurden vom vorsitzenden Richter gestellt; vielleicht richtete er sie ursprünglich an den oder die im Ding anwesenden Priester, die daraufhin die Götter um ihren Willen befragten (so Brunner). Später wurden sie dem Dingvolk oder dem Unterrichter (Zentenar, Schultheißen) oder dem Fronboten vorgelegt. Nach günstiger Beantwortung wird der Dingfrieden verkündet, der das Gericht heiligen und unter göttlichen Schutz stellen soll. Nach Tacitus geschieht es durch den Priester, nach den jüngeren Quellen durch den vorsitzenden Richter; vielleicht hat jener stets in der Landesgemeinde, dieser von jeher in den eigentlichen Gerichtsversammlungen die Handlung vorgenommen. Das Friedewirken, bei dem der Richter den Richterstab erhebt, ist mit einem Gebot des Stillschweigens verbunden (es wird 'Lust' geboten und 'Unlust' verboten). Weitverbreitet ist für die Verkündung des Dingfriedens der Ausdruck 'das Gericht bannen'. Das Wort, Bann (s. d.), nach Einigen (Kluge, Müllenhoff, Brunner) 'feierliche Rede', scheint in seiner ältesten Anwendung gerade auf dies Friedensgebot der Dinghegung zurückzuführen zu sein (noch im MA. daher: 'Bann und Frieden'); später wird mit ihm jeder obrigkeitliche Befehl bezeichnet. Der Hegung entspricht am Ende des Gerichts eine unter entsprechenden Förmlichkeiten vorgenommene Enthegung des Dings.

=

§ 5. Äußerliche Anordnung. Innerhalb des umfriedeten Raumes (des Ringes) nehmen die bewaffnet erschienenen Dingleute auf Steinen oder Bänken Platz. Ein alter in Deutschland lange festgehaltener Brauch läßt den auf eigenem oder erhöhtem Stuhl sitzenden Richter nach Osten blicken; er hat einen Stab

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