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5. In Skandinavien, sowie in den russischen Ostseeprovinzen hat der Elch sich bis heute erhalten. § 6. Der neuhochdeutsche Name elen, elentier wird seit Jakob Grimm gewöhnlich als Lehnwort aus lit. élnis 'Hirsch' aufgefaßt.,,Es ist übel", sagt Grimm (DWb. unter 'Elen'),,,daß dieser allem Anschein nach Slawen ab. gesehene Name unsern heimischen . verdrängt hat." Aber lit. élnis ist der Hirsch, das Elentier heißt lit. bredis (lett. breedis und alnis). Mir scheint nhd. elen wie auch nndl. eland vielmehr eine Fortsetzung des altniederdeutschen elo swm. 'Elch' zu sein (s. oben I a; 3). Das Wort ist im Hochdeutschen bereits bei Luther (als elend), auf niederdeutschem Sprachgebiet sogar schon seit dem 14. Jh. belegt: mnd. elen-hūt, ēlendeshūt 'Elenshaut' im 14. und 15. Jh., ēlensklaue 'Elensklaue' (als Amulett gegen Epilepsie getragen) in niederdeutschen Texten des 16. Jhs. (Schiller-Lübben Mnd. Wb.); mndl. elen und elant, lont, ferner elen-hut (dat. plur. helenhūden, helnehūden), elonts-hut, eelantsche huyt und elen-vel (a. 1441) 'Elenshaut, fell' (Verwijs u. Verdam), nndl. eland. Der Name findet. sich somit auf niederdeutschem und niederländischem Gebiet in zahlreichen Belegen schon zu einer Zeit, wo der Elch in den Wäldern Mitteleuropas noch wohlbekannt und sein alter Name sicher noch erhalten war. Auch der Umstand, daß schon im 15. Jh. überall Nebenformen mit einem Dental hinter dem -n erscheinen, der sich vermutlich aus dem Kompositum *elen-de losgelöst hat oder (nach Much) auf Anlehnung an Wisend ua. beruht, weist auf längere germanische Überlieferung hin. Das Eindringen der flektierten Formen and. elen, elan in den Nominativ ist das gleiche wie in nhd. garten, balken, nnd. gårn, balken usw.; es wurde vielleicht durch Komposita wie elen-hut, elen-vel begünstigt.

Außer in die hochdeutsche Schriftsprache drang das niederdeutsche Wort auch ins Altdänische als elend(s) dyr, ndän. elsdyr, und ins Französische als élan m. (zuerst im 16. Jh. belegt), das wegen seines a wohl aus dem Niederländischen herübergenommen ist (vgl. oben mndl. lant).

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Elefantiasis ist in den mittelalterl. Quellen im allgemeinen gleich Lepra zu setzen, als knotige, knollige Form des Aussatzes, und so ist auch, was Cockayne immer mit Elefantiasis übersetzt, zu nehmen z. B. Lacnunga 50 Wið micclum lice (am Rande der Hdschr. mit,,contra lepram" erklärt); Balds Læceboc II 61 wid pam miclam lice, ebenso III 26; micel lic (Cockayne Leechd. II 399) ist eben Knollenlepra; vgl. ebenda 172, 322, III 38; Leonhardi VI S. 52, 98 u. 138.

Sudhoff.

Elektrum oder Weißgold ist der klassische Name für eine schwefelgelbe bis weiße Legierung von Gold und Silber. Am häufigsten findet man es in der römischen und spätrömischen Eisenzeit an filigranverzierten Anhängern, Haarnadeln o. dergl. verwendet. Auch später bis in die Wikingerzeit hinein kommt es vor.

Gelegentlich ist E. auch der Name des Bernsteins. B. Schnittger. Elfen, Elfenkult. § 1. Elfen oder Elben ist neben Wicht die allgemeine Bezeichnung für dämonische Wesen, die sich in der Umgebung des Menschen, in seiner Wohnung, in der Natur, in Wald und Bergen, in der Luft aufhielten und von denen er bei der nötigen Pflege meist Gutes erhoffte. Hierdurch und durch ihre anmutende Gestalt unterscheiden sie sich von den Riesen oder Trollen (s. d.), die die Furcht geschaffen hatte. Doch können die E. auch boshaft und tückisch werden, zumal wenn es das Element ist, in dem sie der Volksglaube hausen läßt. Tritt dies ein, so geschieht dies aus Überlegung, Berechnung, nicht aber wie bei den Riesen durch tölpelhaften Gebrauch überschüssiger Kraft. Auch die Vorstellung von ihrem Äußeren ist mannigfaltig und entspricht dem Element, dem sie ihren Ursprung verdanken. Die im Licht und in der Luft leben, sind schön und glänzend, die im Innern der Erde schwarz und zuweilen häßlich. Wo sich die E. nicht frei in der Natur bewegen können, wie in den Bergen, unter der Schwelle oder im Balken des

Hauses, werden sie besonders klein gedacht, oft nur drei Finger groß. Aber immer übertrifft ihre geistige Kraft, ihre Verschlagenheit, ihre Kunstfertigkeit die der Menschen. Nach menschlicher Weise sind sie zuweilen in größeren Verbänden vereint und haben dann an ihrer Spitze einen Führer, einen König oder eine Königin. Denn ihrem Geschlecht nach erscheinen sie bald als männliche, bald als weibliche Wesen; jenen eignet vor allem Geschicklichkeit, diesen Klugheit. Auch zeichnen sich die weiblichen durch lieblichen Gesang aus, der die Menschen bezaubert.

§ 2. Die E. kennen alle germanischen Stämme. Doch ist der Inhalt des Wortes nicht überall gleich geblieben. Der Begriff hat sich bald verengt oder ist auf andere dämonische Wesen übertragen worden, bald hat das alte Wort jüngeren Bezeichnungen Platz gemacht. Während mhd. alp (Pl. elbe, elber) oder elbinne noch die allgemeine Bedeutung 'Naturgeist' hatte, bezeichnet das nhd. Alp (s. d.) nur den Druckgeist. Die Form Elfen ist im 18. Jh. durch Wieland aus der englischen Sprache in Deutschland eingeführt, und wie bei Shakespeare versteht man seitdem unter E. fast ausschließlich die Geister der Luft. Im ags. hat alf (pl. ylfe) noch die allgemeinere Bedeutung, und das alfcyn birgt Land-, Wasser-, See-, Winter-, Berg-, Feldelfen, doch tritt in dem gebräuchlichen ælf-scine bereits der Glanz der Luftelfen in den Vordergrund. Dasselbe ist auch der Fall beim altn. alfar (dän. elu, norw. alv), doch berühren sich diese viel mehr mit den seelischen Geistern, weshalb sie vielfach geradezu als solche aufgefaßt werden und dann in gemeinsamer Bindung mit æsir erscheinen (vgl. Fritzner, N. Hist. Tidsskr. 4, 209 ff.). Auch im nordischen Volksglauben der Gegenwart sind die E. überwiegend die Seelen Abgeschiedener (vgl. K. Maurer, Isl. Volkssagen der Gegenwart S. 6 ff.). Aber auch hier tritt die Schönheit und der Glanz der E. nicht selten hervor: ein schönes Weib ist frið sem alfkona, die Sonne heißt alfreðull ‘Elfenstrahl' (Skirnism. 4), und dem leuchtenden Gott Freyr gab man Alfheimr zum Wohnsitz. Daneben begegnet im neunord. Volksglauben auch das mahrenhafte Wesen. Wie im ags. ein ylfa

gesceot, im mnd. ein alfschot, kennt man auch im norweg. ein aluskot, dän. elleskud (Hexenschuß oder Schlagfluß) oder ein ellevild, ein Wort, das von einem Menschen gebraucht wird, dessen Sinne die E. in Verwirrung gebracht haben.

§ 3. An die Vorstellung von einem Elfenreich erinnern Namen wie Alberich-Oberon (s. d.) oder der häufig in dänischen Volkssagen vorkommende Ellekonge, der durch Mißverständnis Herders zu einem Erlkönig geworden ist. Auch dieser ist der Herrscher bald lichter, bald dunkler Geisterscharen. Deshalb läßt Snorri ihr Reich Alfheimar sowohl in lichten Höhen, am Urðarbrunnen, sein als auch unter der Erde; dort wohnen nach ihm die Lichtelfen (ljosalfar), die weißer sind als der Sonnenschein, hier die Dunkelelfen (dekkalfar), die schwarz wie Pech sind (SnE. I 78 ff.). Wenn Nebel über die Wiesen ziehen, dann ergötzt sich die Schar am Tanze, durch den in der einen Gegend (Dänemark) die E. üppigen Graswuchs erzeugen, während sie in anderer (Norwegen) diesen vernichten. An die lichte Erscheinung der Elfen hat sich in England und Skandinavien jene volkstümliche Poesie geknüpft, durch die schließlich der Begriff auf die Luftelfen beschränkt worden ist.

§ 4. Allgemein bringt man das Wort elf mit dem altind. ṛbhūš- zusammen und deutet dies bald als 'kunstfertig', bald als 'glänzend' (Wadstein). Weder aus der einen noch aus der andern Annahme läßt sich die vielseitige Bedeutung, die das altgerm. *alfas gehabt hat, genügend erklären. Im Laufe der Zeit haben sich neue Namen, deren Träger engeres Wirkungsgebiet hatten, von dem gemeinsamen Namen abgezweigt. Das Wort wiht rang mit alf und erlangte schließlich, namentlich in Deutschland, den Sieg. Die Erdelfen wurden zu Zwergen (s. d.), zu Erdmännchen, zum Bjergfolg, die Hauselfen zu Hausgeistern (s. d.), zum Wichtelmännchen, Kobold, Gütgen, Puk, Nisse, Tomt, Brownie, good Fellow, die Waldelfen zum Holz- und Moosweibel, zur Skogsnua, die Wasserelfen zum Nix, Necken, Vatnskratti usw. Auch bei diesen Wesen zeigt sich vielfach die Vermischung mit seelischen Geistern, und oft läßt sich schwer die Grenze ziehen, wo wir es mit einem

elfischen Wesen und mit einem riesischen Dämon zu tun haben. Neuerdings hat die Ansicht, daß die E. rein seelischen Ursprungs seien, sich immer mehr in den Vordergrund gedrängt. Aus ihnen soll auch als ihr Hauptvertreter in der eddischen Dichtung Loki (s. d.) hervorgegangen sein.

§ 5. Elfenkult. Die Elfen genossen auch eines besonderen Kultes, der große Ähnlich keit mit dem Kulte seelischer Geister hat, wenn er nicht gar auf diesen zurückzuführen und erst dann eingetreten ist, als die Seelengeister die Naturdämonen im Volksglauben zurückgedrängt hatten. In den altn. Sagas werden wiederholt alfablot 'Elfenopfer' erwähnt, die in Fleisch und Blut bestehen (PGrundr. III 287), und die Speise- und Blumengaben, die noch heute vielfach Haus-, Wasser-, Waldgeistern gebracht werden, mögen Überreste alter Elfenopfer sein. Auch erinnern an sie die elfstenar oder elfqvarnar ('Elfenmühlen') Skandinaviens, Gletschersteine mit natürlichen Aushöhlungen, die man an gewissen Tagen mit Butter oder Pflaumenmus bestreicht und in deren Höhlungen man kleine Spenden niederlegt (Kgl. Vitterh. Hist.och Antiq. Akad. Månadsbl. 1873, 113 ff.). So wurden. den E. auch Stätten geweiht, wie es der Landnahmemann þōrōlfr auf Island tat, der am Helgafell den Leuten verbot alfrek ganga, das zu tun, was die E. vertreibt (Eyrb. Kap. 4), was sonst nach weit verbreitetem Volksglauben das Weisen des nackten Hintern bewirkt.

Grimm Irische Elfenmärchen Schwartz Elfen u. Zwerge (1887). Wadstein Alfer cck älvor (Uppsalastudier 1892, 152 ff.). v. Schroeder German. Elben u. Götter beim Estenvolke (1906). Celander Lokes mytiska ursprung (1911) 27 ff.

E. Mogk.

Elfenbeinschnitzerei. § I. Die ersten Versuche einer wirklich künstlerischen Plastik im germanischen Norden bewegten sich auf dem Kleingebiete der Elfenbeinschnitzerei. Vermutlich zuerst angeregt durch die Nachbildung der zahlreichen in den Kirchenschätzen vorhandenen spätantiken Werke dieser Art, insbesondere der Diptychen (s. d.) erlebte diese Kleinkunst seit karolingischer Zeit eine wahrhafte Hochblüte. Ihre Werke sind in großen Mengen noch erhalten als Diptychen, BuchHoops, Reallexikon. I.

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deckel, Büchsen, Gefäße, Weihkessel, Kämme, auch Elfenbeinhörner (Olifante) aus der Spätzeit sowie als Einzelrelieftafeln an Reliquienkasten. Frei gearbeitete Gestalten scheinen nicht bekannt.

§ 2. Das älteste zu datierende germanische Werk dieser Art ist die Doppeltafel des Tutilo zu St. Gallen († 91), darstellend Christus thronend und Mariä Himmelfahrt; jede Tafel in drei Zonen geteilt. Vielleicht noch älter ein Diptychon zu Frankfurt a. M. mit zelebrierenden Geistlichen, vermutlich aus Karls d. Gr. Zeit. Die fränkisch-karolingische Elfenbeinbildnerei entwickelt sich vortrefflich nach der kraftvollen und derb naturalistischen Seite (Ermordung des Urias am Gebetbuch Karls des Kahlen). Davon in französischen Kirchen und Museen zahlreiche Beispiele. In Deutschland lassen sich zwei Hauptschulen unterscheiden, eine karolingische am mittleren Rhein und eine ottonische in Sachsen. Die Werke der ersteren heute noch meist im Westen, Aachen, Essen, Bonn, die sehr zahlreichen der letzteren überall, selbst in England, Frankreich, Italien weit verbreitet. Auch in Süddeutschland scheint diese Kunst am Ende des Jahrtausends geübt zu sein.

W. Bo de Gesch. d. Deutschen Plastik, Berlin 1887. S. 4-21. A. Haupt. Elle, in lateinischen Urkunden cubitus, ulna I. § 1. Eines der verbreitetsten natürlichen Längen maße, gleich der Länge des aufgebogenen Vorderarms vom Ellenbogen bis zur Spitze des Mittelfingers.

§ 2. In Norwegen kannte man daneben. auch die Daumenelle pumaloln, wohl gleich dem mh. gemünd der Höhe der aufgestellten geballten Faust mit erhobenem Daumen, was man für einen halben Fuß rechnete, sowie die Faustelle hnefaoln (s. Faust § 3).

§3. Frühzeitig wurde die natürliche Elle durch das künstliche Ellenmaß ersetzt. In England bediente man sich der eisernen Elle Kg. Johanns zur Vermessung von Äckern (44 ulnas de ulnis ferreis Joannis Regis Angliæ: Du Cange sv. ulna), während in Schottland Kg. David die Ellengröße zu 37 Zoll festsetzte, die aus der mittleren Daumengröße dreier Männer, eines großen, mittleren und eines kleinen, oder aus der Länge dreier Gerstenkörner abgeleitet wa

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ren.

In Norwegen vermittelte den Übergang zur künstlichen Elle der Stab kvarði, auf welchen die natürliche Elle zu leichterer Um 1200 Verwendung übertragen war. wurde auf Island ein Urstab von 20 Ellen, kvarði tvītugr, auf der Wand der Althingskirche eingeritzt, zwei Ellen dieses Urstabs stika sollten fortan das gesetzliche Längenmaß abgeben und eine Normal-stika an jeder Begräbniskirche angebracht werden, damit man sich bei Streitigkeiten darnach richten könne.

§ 4. Ähnliche Vorkehrungen wurden auch in Deutschland getroffen. So findet man z. B. noch heute am sog. Riesentor der St. Stephanskirche in Wien in den. Sockelsteinen zwei Eisenstäbe eingelassen, welche Größe und Einteilung der Wiener Elle und das Ziegelmaß enthalten.

§ 5. Die Länge der Elle war nicht nur nach Zeit und Ort, sondern häufig auch nach dem Gegenstande verschieden, der gemessen werden sollte, namentlich hatte der deutsche Kaufmann beim Einkauf von Waren in Italien damit zu rechnen, daß in der Regel die Seidenelle etwas kleiner war als die Wollelle. Daß in Deutschland ähnliches vorkam, zeigt das Beispiel von Osnabrück, das noch 1851 nicht weniger als 9 verschiedene Ellenmaße besaß, deren Länge zwischen 0,584 bis 1,22 m schwankte. Dazu kam, daß infolge der mangelhaften Eichung ein und dasselbe Maß an verschiedenen Orten verschiedene Größe hatte. Die weitverbreitete Brabanter Elle z. B., die in Brüssel zu 0,695 m maß, wurde in Aachen 0,680, in Düsseldorf und Leipzig 0,685 mit einer Schwankung von 4 Zehntel mm, in Frankfurt a. M. 699 mm usw. gerechnet.

§ 6. Ellenlängen aus der Zeit des frühen MA. sind ziffernmäßig nur sehr vereinzelt bekannt. Der römische cubitus war 11⁄2 Fuß oder 24 digiti Zoll zu 18,48 mm Länge, also im ganzen 443,6 mm groß. Etwas größer, ungefähr 49 cm lang, war die isländische Elle.

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II. § 7. Die Elle diente aber auch als Geldmaß, insofern als Gewandstoffe bei den Friesen und den Skandinaviern als Geld verwendet wurden. Ellenschulden werden geradezu als gleichwertiger Ausdruck für Geldschulden gebraucht. Vgl. Fries, Frieselle.

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Blind

v. Amira NOR. I 434. II 494. 41 ff. Hultsch 76, 700. No back unter Aachen, Brüssel, Düsseldorf usw.

A. Luschin v. Ebengreuth.

Eltern und Kinder. § 1. Von dem unehelichen Kinde und dem Kinde aus einer Kebsehe (s. 'Bastard') unterscheidet das germanische Recht das eheliche Kind (awnord. skirbarn, skilgetinn; aschwed. apalkonubarn, ahd. adalerbo, sächs. adelkind, ags. fulboren, lang. fulborn). Es war nach alter germanischer Auffassung das in rechter Ehe erzeugte und geborene Kind. Das in die Ehe mitgebrachte Kind der Frau wurde durch die Eheschließung nicht ehelich; eine Legitimation durch nachfolgende Ehe brachte erst das römischkanonische Recht. Aber auch das in der Ehe geborene, aber vor der Ehe erzeugte Kind sah man, wie die älteren isländischen Rechtsquellen, das langobardische Recht Liutprands 105 und der Sachsenspiegel (Ssp. I 36 § 1) beweisen, ebenfalls als unehelich an. Erst unter dem Einfluß des römisch-kanonischen Rechts hat sich diese Auffassung gewandelt.

§ 2. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Vater und seinen ehelichen Kindern trug einen doppelten Charakter; es war ein familienrechtliches Gewaltverhältnis und ein jenes Gewaltverhältnis modifizie rendes Verwandtschaftsverhält. nis.

Das Gewaltverhältnis entstand mit der Geburt des Kindes durch die der ehemännlichen Gewalt unterworfene Ehefrau, das Verwandtschaftsverhältnis in heidnischer Zeit erst dadurch, daß der Vater das neugeborene Kind als das seine annahm. Das Kind wurde vor ihm auf den Boden gelegt, und nun hatte er zu entscheiden, ob es aufgezogen werden sollte oder nicht. Im letzteren Falle wurde das Kind entweder ertränkt oder im Walde ausge setzt (awestnord. ütbera, ūtkasta); andernfalls nahm es der Vater in seine Arme und gab ihm den Namen, wobei im Norden schon in heidnischer Zeit ein Begießen mit Wasser üblich war. War das Kind vom Vater angenommen, so hatte dieser das Aussetzungsrecht verloren; ebenso durfte, wie die Lebensbeschreibung des hl. Liudger beweist, ein Kind, das schon Speise genommen hatte, nicht ausgesetzt werden.

Mit der Einführung des Christentums ist. die Sitte der Kindesaussetzung beseitigt worden; die späteren Quellen bestrafen jede Kindesaussetzung, auch die des Neugeborenen. Immerhin ist noch insofern eine gewisse Erinnerung an das ältere Recht geblieben, wenn nach manchen germanischen Rechten Kinder, die vor der Taufe oder ersten Nahrungsaufnahme starben, des Erbrechts (s. d.) entbehrten.

§ 3. Aber auch das in den Schutz aufgenommene Kind war noch in hohem Grade der Willkür des Vaters unterworfen. Ebenso wie die ehemännliche und vormundschaftliche Gewalt in den westgermanischen Quellen (Ed. Roth. 195, 1956; Lex. Alam. 53, 2) als Munt bezeichnet, hat die väterliche Gewalt den egoistischen Charakter der alten Munt in viel stärkerem Maße als diese andern familienrechtlichen Gewalten gewahrt. Zwar das Tötungsrecht des Vaters beschränkte sich im wesentlichen, wie es scheint, auf den Fall geschlechtlicher Verirrungen der Tochter (Ed. Roth. 221; Lex Visig. IV 3 § 5) und ist früh verschwunden. Dagegen hat sich das Recht des Vaters, im Falle der Not das Kind zu verkaufen, verhältnismäßig lange erhalten. Angelsächsische Bußordnungen und karolingische Kapitularien kennen es ebenso wie das isländische und norwegische Recht. Noch der Schwabenspiegel c. 357 statuiert: Unde ist daz | ein man sin kint verkouffet durch ehafte not, daz tût er wol mit rehte. Nichts anderes als eine Art des Verkaufsrechtes war das Recht des Vaters, seine Tochter auch gegen ihren Willen zu verloben (s. 'EheschlieBung'). Dazu kam ein ausgedehntes Züchtigungsrecht des Vaters, sowie das Recht, die Dienste des Kindes für eigene Zwecke in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen.

§ 4. Nach außen hin absorbierte der Vater als Muntwalt die Rechtssphäre des Kindes. Er haftete für die Delikte der Kinder (Liutpr. 146) oder wenigstens der ganz kleinen Kinder (norweg. Recht) mit dem eigenen Vermögen, allerdings meist mit dem Rechte, sich aus dem Vermögen des Kindes schadlos zu halten; umgekehrt bezog er die Buße für Verletzung des Kindes ursprünglich ganz (Ed. Roth. 186, 187,

202) oder wenigstens zum Teil (Liutpr. 31) für eigene Rechnung und erst in späterer Zeit allein für Rechnung des Kindes. Die gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten des Kindes führte der Vater im eigenen Namen (Capitulare v. 829 § 4, MG. Capit. II S. 19), ja, sogar die prozessualen Eide, insbesondere den Unschuldseid, leistete er für das Kind (Formulae Andecav. II; vgl. noch Sachsenspiegel, Landr. II 17 § 2).

§ 5. Von diesen auf der Munt beruhenden Rechten des Vaters sind wohl zu unterscheiden die auf der Verwandtschaft beruhenden Rechtsbeziehungen zwischen | Vater und Kind (s. unter 'Verwandtschaft'), die auch fortdauerten, nachdem die Munt durch Absonderung oder Emanzipation (s. unter 'Emanzipation') erloschen war.

§ 6. Während diese verwandtschaftlichen Beziehungen auch zwischen dem Kinde und der Mutter bestanden, war dem ältesten Recht eine wirkliche mütterliche Munt unbekannt. Wer selbst, wie das Weib, unter Geschlechtsvormundschaft stand, konnte nicht Muntwalt eines andern sein. Damit war es durchaus vereinbar, daß die Erziehung des Kindes schon bei Lebzeiten des Vaters und noch mehr nach seinem Tode vor allem in den Händen der Mutter lag. So ist es bei den eigentlichen Deutschen im wesentlichen auch bis tief in das MA. geblieben; erst das Privileg Heinrichs des Löwen für Schwerin kennt eine mütterliche Vormundschaft nach dem Tode des Vaters. Dagegen deutet auf eine Munt der Mutter das 2. friesische Landrecht, die berühmte Stelle von den „,drei Nöten", und auch die angelsächsischen Bestimmungen Ine 30 und Hlodhere u. Eadric 6 gehen offenbar davon aus, daß die verwitwete Mutter eine Gewalt über das Kind hat, während die Sippe eine Fürsorge für das Vermögen einleitet.

§ 7. Eine ausgeprägte mütterliche Munt haben die Ostgermanen. Sowohl das westgotische (Lex Visig. IV 2, 13; 3, 3) wie das burgundische Recht (Lex Burg. 59; 85, 1) sprechen der Witwe, so lange sie sich nicht wieder verheiratet hat, eine Gewalt über die Kinder zu, die sowohl als potestas wie als tutela bezeichnet ist und zweifellos eine wirkliche Munt bedeutet. Ähnlich steht es im Norden. Die westnordischen Rechte

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