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$ 15. Mit andern Völkern gemein hatten die Germanen den Glauben, daß bei Sonnen- und Mondfinsternissen (s. d.) Ungetüme in Wolfsgestalt das Gestirn zu verschlingen suchten. Deshalb pflegte man, wie es noch heute die wilden Völker tun, bei diesen Verfinsterungen mit den Waffen zu lärmen und ein lautes Geschrei

zu

erheben und glaubte dadurch dem Gestirn zu Hilfe zu kommen (Hom. de sacril. S. 30 ff.). Über den A. beim Erscheinen von Kometen erfahren wir aus älteren Quellen nichts, nach späteren sind diese Erscheinungen die Vorboten schweren Unglücks, besonders der Kriege. Unwetter, Hagel und Gewitter waren die Arbeit böser Dämonen. Unholde, später Hexen, trieben in den Wolken ihr Handwerk. Daher warf man gegen diese Steine oder schoß Pfeile. Noch heute begegnet das Wolkenschießen bei Gewittern. Aus demselben A. erklärt sich das Schießen und der Lärm, der zu bestimmten Zeiten (Neujahr, Walpurgisnacht) oder bei gewissen Ereignissen (Hochzeiten) von der Volksmenge erhoben wird: er hat prophylaktische Bedeutung; durch ihn sollen die schädigenden Dämonen für die folgende Zeit geschreckt und dadurch von den Menschen ferngehalten werden. Um sich vor dem Blitzschlag zu schützen, bewahrt man in seinem Hause den Donnerkeil (s. d.), bringt an ihm den Donnerbesen (Petersen Der Donnerbesen 1862) oder unglückabwehrende Zweige oder Kräuter (Haselzweige, Johanniskraut) an und pflegt die Vögel, die das Haus schirmen (Schwalbe, Storch, Rotkehlchen). Auch den Wind verstehen zuweilen die Hexen zu entfachen. Aber ungleich verbreiteter ist der A., daß in diesem das wütende Heer oder der wilde Jäger (s. d.) daherfahre.

§ 16. Keine Ereignisse im Alltags- und Festleben der Germanen gab es, kein Unternehmen in der Familie oder in der Genossenschaft wurde in Angriff genommen, bei dem nicht der A. mitgesprochen hätte. Der kindliche Glaube an die Kraft der Dinge, an das Orenda, wie es die Irokesen nennen, und an die Sonderexistenz der Seele zeigte sich überall. Durch allerlei Mittel sucht man den Säugling gegen die Dämonen zu schützen, sucht

vor

allem die Vertauschung mit dem Wechselbalg (s. d.) fernzuhalten; durch abergläubische Zaubermittel sucht der Jüngling die Liebe des Mädchens, dies die des Geliebten zu gewinnen und zu erhalten (Weinhold, Deutsche Frauen I 236 ff.); unter Beachtung der Zeit und des Tages, mit Befolgung aller möglichen abergläubischen Gebräuche und Riten wird die Hochzeit gefeiert; durch Zauber- und Sympathiemittel werden alle Krankheiten. geheilt, am Totenbette spielt sich der Totenkult (s. d.) ab und kommt der Glaube an das Fortleben der Seele zu seiner Geltung. Zu unzähligen Gebilden gibt der Traum Veranlassung, denn der Traum ist dem natürlichen Menschen Wirklichkeit; was der Schlafende geträumt, hat er erlebt. Im Schlafe wandert auch die Seele oder verkehrt mit Verstorbenen, und durch sie erfährt der Träumende seine und seiner Angehörigen Zukunft. Wenn ein Unternehmen ins Werk gesetzt wird, wird auf den Tag geachtet (Tagwählerei, die schon Burchhardt von Worms verurteilt), bei einer Reise auf den Angang; an die Aussaat und Ernte, den Aus- und Eintrieb des Viehes knüpfen sich zahlreiche Riten. (Vgl. Jahn Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau u. Viehzucht 1884; Pfannenschmidt Germanische Erntefeste 1878; Mannhardt Wald- u. Feldkulte II 1877; Mythologische Forschungen 1884). Auch in den Städten hielten diese Reste lebendigen Volksglaubens ihren Einzug. Hier nehmen sich die Zunftgenossenschaften ihrer an, allein sie erhielten ein ganz anderes Gepräge. Aus den lebendigen Riten, die sich an die Verjüngung der Natur und des Jahres knüpften, wurden die Umzüge der Zünfte, wie der Metzger und Fischer, und nur an der Genossenschaftsfeier und dem Begießen mit Wasser spürt man den Ritus, der nun wie alle abergläubische Handlung zur volkstümlichen Sitte geworden ist.

Wie der Aberglaube selbst, ist auch die Literatur über ihn fast unübersehbar. Es sollen deshalb nur die wichtigsten Quellenwerke angeführt werden. Grimm D. Myth. 4 III 401 ff. Caspari Eine Augustin fälschlich beigelegte Homilia de sacrilegiis 1886. Fried

berg Aus deutschen Bußbüchern 1868. Schönbach Zeugnisse Bertholds v. Regensburg 2. Volkskunde 1900. v. Dobeneck Des deutschen Mittelalters Volksglauben u. Heroensagen 1815. Schindler Der Aberglaube des Mittelalters 1858. C. Meyer Der Aberglaube des Mittelalters u. der nächstfolgenden Jahrhunderte 1884. Wuttke Der deutsche Volksaberglaube d. Gegenwart 3 1903. W. Busch Deutscher Volksglaube 1877. Rochholz Deutscher Glaube u. Brauch 1867. A. Fischer Aberglaube unter den Angelsachsen 1891. R. Gröndal Folketro i Norden; Annal. f. nord. Oldk. 1863. N. M. Petersen Historiske Fortællinger IV 282 ff. A. Lehmann Aberglaube u. Zauberei von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart 1908. Heinemann Aberglaube, geheime Wissenschaft, Wundersucht 1907. C. Kiese wetter Die Geheimwissenschaften. W. Mannhardt Zauberglaube u. Geheimwissen 3 1897. Pfleiderer Theorie des Aberglaubens 1873. Brunnhofer Culturwandel u. Völkerverkehr 103 ff. Wundt Völkerpsychologie II 2, 1906.

E. Mogk. Abfallgruben unterscheiden sich ar chäologisch von Herdgruben und Kellergruben (Vorratsgruben) durch ihre unregelmäßige Gestalt und ihren wirren Inhalt. Nicht in bestimmter Form mit steilen Wänden in den Boden eingetieft oder gar mit Steinen oder Holz ausgekleidet, pflegen sie vielmehr unsorgfältig ausgegrabene und je nach Bedarf erweiterte Löcher zu sein, in die die Knochen-Reste von den Mahlzeiten, die Asche vom Herde und der Geschirrbruch aus dem Hause geschüttet wurden.

Prabist. Z. I 1909, Taf. XXIV.

Schuchhardt.

Abführmittel, als Behelfe der Gesunderhaltung mit dem Zweck der Umänderung und Erneuerung der Körpersäfte nach antiker Vorstellung, sind natürlich römischer Import, den uns die Bezeichnung des Aderlaẞhauses auf dem St. Gallener Grundriß von 820 im Nebenzweck als „potionariis“ mit seinen Wandbänken zum Abwarten der Wirkung des tranc und seiner reichen Ausstattung mit sieben Aborten im Seitengang anschaulich demonstriert. Die richtigen Zeiten zur Anwendung der Kräutertränke usw. lehren die Kalendarien. Doch mag auch die vorrömische Germanenmedizin über Tränke zur Behebung von Stuhlverhaltungen ver

fügt haben, deren bestimmte Scheidung von denen der antiken Überlieferung nicht immer leicht sein wird. Vgl. die drei utyrnende dranc in den Lacnunga 18-20 bei Cockayne, Leechdoms III 18-21 und II 30; Leonhardi in Grein-Wülckers Bibl. d. ags. Pr. VI 128 f. und 68 f. Sudhoff.

Ἀβίλουνον ist der Name einer Stadt' in der Germ. mag. des Ptol. nahe der Donau und fast in der Mitte der Südgrenze eingetragen. Er erinnert an Obilonna auf der Tab. Peut. bei den Allobrogern, auf ursprünglich ligur. Boden; s. ZfdA. 41, 133.

R. Much.

Abnoba, bei Ptolemäus II 11, 11 daneben Αβνοβαία ὄρη, ist der alte Name des Schwarzwalds, und auch eine nach dem Gebirge benannte dea, Diana oder Deana Abnoba ist bekannt. Abnoba ist sicher ungerm., vermutlich kelt. und gilt als Die Ableitung aus kelt., abonā 'Fluß'. Römer, die z. B. Dumnorix schreiben gegenüber inschriftlichem Dubnorix, haben auffallenderweise den Namen nicht in Amnoba umgestaltet, wohl weil sie an Komposita mit ab dachten. R. Much.

Abort. A. Norden. § I. Auf den Mangel eines Abtritts weist der anord. Ausdruck leita sér staðar. Überhaupt läßt sich der Beweis nicht erbringen, daß diese Bequemlichkeit germanischen Ursprungs sei. Zwar gibt es eine gemeingerman. Benennung dafür, nämlich anord. gangr, ags. gang (arsgang, gangern), ahd. gang; die Bedeutung 'Abtritt' ist aber sekundär und kann in den Einzelsprachen entstanden sein. Das Wort läßt sich nicht als (bedeckter) Gang' erklären (vgl. Heyne Hausaltert. I 97) diese Bedeutung kommt weder im Anord. noch im Ags. vor, sondern stammt von der Redensart anord. ganga nauðsynja, þurfta sinna, ags. gan ymbe his neode, 'seine Notdurft verrichten'. Demnach heißt gang eigentlich 'das Verrichten der Notdurft', woraus einerseits 'Ort, wo dies geschieht', andererseits 'Exkremente, Urin' (so anord. gangr, parfagangr). Der Abort im allgemeinen Sinne war teils das offene Feld (vgl. anord. vallgangr 'Exkremente', eigentl. 'Gang ins Feld', ahd. feldgang 'Abtritt'), teils ein Winkel des Hofplatzes

(vgl. anord. ganga til gards 'auf den Hof gehen', nnorw. dial. ganga i tunet dass.). Auch wo zu diesem Zwecke ein Häuschen errichtet wurde, bekam es gewöhnlich im Hof seine Stelle; vgl. anord. gardhus, norw. dial. tyne (von tun 'Hofplatz'), ags. gangtūn (eigentl. 'der Teil des Hofes, wo die Notdurft verrichtet wird') für 'Abtritt'. Auf größeren Höfen war der Abtritt häufig am Ende des um das Obergeschoß laufenden Ganges angebracht (wie in Deutschland im späteren MA., s. Heyne aaO. 223): vgl. zB. Ynglinga saga 14 (um nōttina gēkk hann ut i svalir at leita sér staðar); dazu norw. dial. sval 'abseits liegender Gang mit einem Abort'. Andere Namen für den Abort sind salerni (von salr 'Saal'), nāð (a)hūs (zu não ‘Ruhe'), skal(a)hus (eigentl. 'leichtgebautes Haus'), kamarr (von lat. camera), heimilishūs (zu heimili 'Heimat', aber wohl nach deutschen Wörtern wie mhd. heimlich gemach, heimlicheit gebildet, vgl. aschwed. hemelikhus). Die Aufnahme fremder Benennungen (vgl. auch ags. cachūs: lat. caccare, auf norw. Fahrzeugen kakkhus) erklärt sich aus dem Drange nach verschleiern den Ausdrücken (vgl. anord. annat hus 'Abort'). Mehrmals wird ausdrücklich hervorgehoben, daß das Häuschen auf Pfosten (stafir, stolpar) gebaut und mit einer Treppe (rið) versehen war; Gruben für die Exkremente, wie in England (vgl. ags. gangpytt), gab es nicht. Nur ausnahmsweise scheinen abgesonderte Sitze (seta, vgl. ags. gangsetl) vorgekommen zu sein, gewöhnlich genügte ein horizontaler Bal ken (trē, nāðahūstrē, vgl. setjask ā trē 'seine Notdurft verrichten'), auch wo das Haus gleichzeitig mehrere Personen aufnehmen konnte. Auf Schiffen gab es keinen Abtritt; die nautische Redensart ganga til bords zeigt, daß hier der Reling (bord) die Rolle des nãðahūstrē übernahm.

V. Guðmundsson Privatboligen paa Island 246 f. Hj. Falk Maal og minne II 20ff. Hjalmar Falk.

B. Süden. § 2. Der Abtritt als geschlossenes Gemach und besondere Vorrichtung zur größeren Bequemlichkeit und Reinlichkeit und aus Gründen des Anstands ist wohl erst durch die Römer und die Mönche nach dem Norden eingeführt

worden. Daß die Römer den A. mit durchlöchertem Sitz kannten, ergibt sich aus dem Ausdruck sella pertusa 'durchlöcherter Sitz, Nachtstuhl' bei Cato, sella familiarica dsgl. bei Varro, sellae Patroclianae latrinae' bei Martial, sowie aus den Resten öffentlicher Aborte in der römischen Stadt Thamugadi b. Biskra in Algerien (Boeswillwald etc. Timgad, Paris 1905, S. 13 f.) ua. In Klöstern und Priesterwohnungen gab es schon im frühen MA. besondere, mit Tür oder Vorhang verschließbare Gelasse zur Verrichtung der Notdurft. Gregor v. Tours (2,23) im 6. Jh. berichtet von einem Priester, der auf dem Abort (secessus) vom Schlage gerührt wurde, während sein Diener mit einer Kerze vor dem durch einen Vorhang abgeschlossenen Eingang wartete. Im Grundriß des Klosters St. Gallen (820) sind etwa zehn, von den Wohnhäusern getrennte Aborte (necessarium, requisitum natura:) ausgezeichnet, die stets durch einen Gang (exitus ad necessarium oder ex. necessarius) mit den Dormitorien verbunden sind. Auch das Krankenzimmer der Klöster war mit einem A. versehen, so in St. Gallen, so bei Thietmar v. Merse. burg 4,48 (11. Jh.). Daß diese Bequemlichkeit frühzeitig auch in die Häuser der weltlichen Vornehmen Eingang fand, darf man ohne weiteres annehmen. Regino v. Prüm berichtet z. J. 901 von einem Grafen, der auf dem A. durchs Fenster erschossen wurde. Der A. ist hier also ein durch eine Fensteröffnung erhelltes, abgeschlossenes Gemach.

§ 3. Allmählich wird das Bedürfnishaus allgemeiner, wie die zunehmende Zahl von Benennungen andeutet, die zum Teil humoristische Färbung tragen. Neben das alte gang, das in Deutschland wie im Norden immer noch das gewöhnlichste Wort für A. bleibt, treten scherzhafte und euphemistische Ausdrücke wie ahd. spräch hūs (Steinm.-Siev. Ahd. Gl. III 628, 19), das sonst zur Übersetzung von lat. curia 'Rathaus' dient (ebd. 124, 45), aber daneben schon im Ahd. und ganz besonders häufig im Mhd., Mnd. und Frühnhd. (16. Jh.) auch humoristische Benennung für den A. als das Gemach der geheimen >> Beratung<< ist; noch heute luxemburg. sprochhaus 'Abort' (s. DWb. sv. Sprachhaus). Ähnlich

mhd. swāscamere 'trauliche Kammer' (Steinm.-Siev. III 360, 55), heimelcamere, heimlich gemach ua. (Diefenbach Gl. 128 a). § 4. Die Größe der A.e war je nach Bedarf verschieden; im Grundriß des St. Galler Klosters sind solche mit 2-18 Sitzen (sedilia) verzeichnet. Die mehrsitzigen waren in der Regel wohl für mehrere Personen zu gleichzeitiger Benutzung nebeneinander bestimmt. Ein angelsächsischer Geistlicher in der Dänenzeit eifert dagegen, daß der Abtritt von Frauen vielfach zu Eß- und Trinkgelagen benutzt werde! (Engl. Stud. 8, 62.)

§ 5. Diese Verwendung des A.s als Unterhaltungs- und Speiseraum zeigt, daß die Klosetts in Deutschland und England im frühen MA. jedenfalls schon mit bequemerer Sitzgelegenheit als einem einfachen Balken ausgestattet waren. Dafür spricht auch der ags. Ausdruck gangsetl für A. und die Stelle in Elfrics Homil. ed. Thorpe I 290, wo von Arius berichtet wird, daß er auf dem A. starb und tot dort sitzen blieb (he sæt þær dead, ähnlich wie der Diener des Priesters bei Gregor v. Tours (oben § 2) seinen Herrn super sellula secessi defunctum findet.

§ 6. Doch war der A. für die Masse des Volks im MA. wohl immer ein Luxus. Er wird sich in der Regel nur in Klöstern, in den Häusern der Vornehmen und später allgemeiner in den Städten gefunden haben. Auf dem Lande war er bis vor wenigen Jahrzehnten in Deutschland eine Seltenheit und ist es vielerwärts jetzt noch. Schrader Reallex. Heyne Hausaltert.

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das Königtum selbst abgeschafft; auch die Vertreibung des Franken Childerich im 5. Jahrh. ist kaum unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruches zu fassen. Wo allerdings feste Erblichkeit ausgebildet war oder Vorstellungen von der geheiligten monarchischen Gewalt herrschten, da hat man unbequeme Könige nicht abgesetzt, sondern getötet, so bei den Westgoten. § 2. Das starke Erbkönigtum der Merowinger des 6. Jahrhs. duldete kein Recht der Absetzung. Die Erschütterung der königlichen Gewalt im 7. Jahrh. und die ganz beliebige Auswahl, die untet erbberechtigten Merowingern getroffen wurde, bereitete die Entthronung der Dynastie vor. Die Absetzung des letzten Merowingers 751 erfolgte zugleich unter Mitwirkung der obersten geistlichen Gewalt (apostolica auctoritate percepta). Die Aufnahme theokratischer Elemente stärkte die karolingische Monarchie, aber die Auffassung der monarchischen Gewalt als ein von Gott zum Besten des Volkes übertragenes Amt bot die Möglichkeit, dem schlechten König das Amt zu entziehen. Berufene Kenner des göttlichen Willens waren die Geistlichen. Im Jahre 833 wurde Ludwig d. Fr. abgesetzt: divino iustoque iudicio imperialis subtracta potestas. Dagegen ward Karl III. (887) ohne formelle Absetzung, durch Ignorierung seiner Persönlichkeit, der monarchischen Gewalt entkleidet.

§ 3. Im Deutschen Reich wurde wiederholt und nachdrücklich seit der zweiten Hälfte des II. Jahrhs. betont, daß dem Unwürdigen die Gewalt, die ihm durch die Wahl übertragen wurde, genommen werden könne. Heinrich IV. hat das dadurch anerkannt, daß er seinen Sohn Konrad durch Fürstenspruch der Königswürde entheben ließ. Zu derselben Zeit beanspruchte der Papst ein Absetzungsrecht und brachte es 1076 und 1080 zur Geltung. Allgemein ist indessen weder ein päpstliches noch ein fürstliches Absetzungsrecht anerkannt worden. Erst im 13. Jahrh. entstanden bestimmte Theorien der Absetzung und Forderungen eines bestimmten Formalismus, welche von Königen selbst wiederholt gutgeheißen wurden, denen aber durch die Goldene

Bulle von 1356 jede tatsächliche Bedeutung genommen wurde. S. unter König. G. Seeliger.

Abt. Äbte (abbates zuerst auch priores) und Äbtissinnen (abbatissae) als Vorsteher von Klöstern sind in sämtlichen germanischen Staaten bekannt. Im Frankenreich suchten die Bischöfe die Ernennung der Äbte schon früh an sich zu reißen, wobei sie in den unabhängigen Klöstern die der Regula Sancti Benedicti entsprechende Wahl durch die Klosterinsassen, in Eigenklöstern (s. Eigenkirche) den Eigentümer beiseite schieben mußten, der den Abt zu bestimmen in Anspruch nahm und sich nicht selten als erster Abt (Äbtissin) an die Spitze stellte. Doch gewährte Ludwig der Fromme 818/819 den Klöstern, soweit sie nicht Eigenklöster waren, ausdrücklich die freie Abtswahl (Capitulare ecclesiasticum). Immerhin waren die Äbte dem Bischof unterstellt, der ihre Wahl bestätigen, sie selbst benedizieren mußte und beaufsichtigte. Wie die Bischöfe selbst, waren auch die Äbte nicht fern vom politisch-staatlichen Leben, gehörten vielmehr zu den Großen des Reiches und galten als königliche Beamte. Sie wurden zu Reichstagen berufen, als Gesandte und missi verwendet und waren in aller Regel große Grundherren. Als solche mußten sie oft vom König mit den Regalien investiert werden und diesem den Huldi

gungseid leisten. Durch Überspannung

dieser weltlichen Seite kommen seit den Karolingern die Laienäbte (abbates saeculares) auf, weltliche Herren, denen eine Abtei oder mehrere übertragen waren; diese nutzten das weltliche Zugehör der Abtei, während ein abbas regularis (legitimus) als Stellvertreter die geistlichen Funktionen ausübte. Vereinzelt wird auch der Vorsteher eines nicht mönchischen Kapitals als abbas bezeichnet. Auch bei den Angelsachsen hat sich die Wahl des Abtes (abbod, abbud) nicht nach einheitlicher Regel gerichtet; doch scheint die Form freier Wahl,,cum consilio episcopi", wie sie in den Rechtsquellen vertreten wurde, auch praktisch die Ernennung durch andere Personen über

wogen zu haben. In Norwegen hatten

fast alle Klöster das Recht der freien

Abtswahl (abbati; Äbtissin aebbadis nur bei einigen Orden war der Bischof an der Wahl beteiligt. Auch in Dänemark lassen die ziemlich geringen Nachrichten eine Einmischung anderer Personen als etwa des Abtes (abbat) des Mutterklosters oder des Königs bei seinen Eigenklöstern nicht erkennen. Ebenso ist in Schweden eine ziemlich regelmäßige Durchführung der benediktinischen Regel anzunehmen (s. a. Kirchenverfassung II § 6 und Mönchswesen).

Hauck Kirchengesch. 13 246 ff.; II2 584. Holtzmann Fr. V. G. 153, 157. Brunner D. R. G. II, 318 f. Waitz D. V.G. II, 2, 66 f; III, 13 ff. 433 ff.; IV, 212 ff. Stutz Kirchenrecht 934. Schäfer Pfarrkirche u. Stift 125 ff. Makower Verfassung d. Kirche v. England 9 f. Hunt Hist. of the Engl. Church 176f. Philipps Angelsächsische Rechtsgeschichte 255. Maurer Vorles. II 357. Olrik Konge og Præstestand II 179 f. Jørgensen Forelæsninger 270. Hildebrand Sveriges Medeltid III 923 ff. passim. Reuterdahl Svenska kyrkans historia II, 1, 187 ff. passim. v. Schwerin.

Accente (§ 1) nannte man im Abendlande die Beizeichen der Schrift, welche in der Rezitationskunst des ausgehenden Altertums zur Bezeichnung der Betonung dienten und als Prosodien von Aristophanes von Byzanz um 200 v. Chr. erfunden (oder eingeführt) worden. sein sollen. Es waren zehn Zeichen, in vier Klassen eingeteilt, nämlich 1. Töne auf betonten Silben: Akut, Gravis, Circumflex; 2. Zeiten auf unbetonten Silben: Longa, Brevis; 3. Hauche oder Intonationen am Anfange der Satzteile: Spiritus asper u. lenis; 4. Affecte oder Vortragszeichen, Interpunktionen am Ende der Satzteile: Apostroph, Hyphen, Diastole. Sie sind von den meisten christlichen Völkern zu eignen Tonschriften (Neumen) umgebildet worden.

§ 2. Den Franken wurden die Accente, wie es scheint, durch Alkuin bekannt. Am Hofe Karls d. Gr. lehrte,,Sulpicius die Knaben nach sichern Accenten singen". Durch Alkuin wurde Hraban Maurus auf ihre Verwendbarkeit hingewiesen, seine Schule, Otfrid voran, benutzte mindestens den Akut, um die Hebungen der Verse anzudeuten. In St. Gallen bildeten dann diese Accentuation für die deutsche Sprache

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