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tiven Psychologie auch die Übertragung. Das Blut, das Herz, die Nieren galten als Sitz der menschlichen Seele und damit aller Eigenschaften, die ein Mensch besaß. Wollte man sich diese aneignen, so mußte man die betreffenden Körperteile verzehren. Kranke Glieder wurden nachgebildet und diese Nachbildungen an geweihter Stätte niedergelegt: so, hoffte man, genesen die Glieder. An gewisse Dinge, namentlich an Bäume, glaubte man, sei das Leben, das Geschick der Menschen geknüpft: hieraus entstand der Glaube an die Schicksalsbäume, der u. a. die harten Strafen erklärt, die noch im ganzen Mittelalter auf Baumfrevel gesetzt waren (Grimm DRA. + II 39). So zeigt sich allerorten im Aberglauben der Germanen eine Psychologie, wie wir sie heute. noch bei Völkern beobachten können, die auf einer niederen Kulturstufe stehen.

Vierkandt Naturvölker u. Kulturvölker, 1896. Schultze Psychologie der Naturvölker, 1900. Wundt Völkerpsychologie II

1-3, 1905-1909.

$7. Der Aberglaube der Germanen birgt die Entwicklungsgeschichte ihrer vorhistorischen Religion und bildet so zu dem Götterglauben die notwendige Ergänzung (vgl. Religion). Alle Schichten religiöser Entwicklung können wir in ihm beobachten. Allein sie liegen nicht scharf getrennt übereinander, sondern die älteren sind vielfach in jüngere eingeschoben und mit diesen verquickt. Neue Religionsauffassungen haben die alten umgestaltet, und ein nicht geringer Teil ist in sie aufgenommen worden. In der Zeit des Vitalismus glaubte man die ganze Umgebung, die Natur beseelt und sprach den Dingen den Dingen eine gewisse Zauberkraft zu, die durch kindliche Gedankenverbindung mit dem Menschenleben in Zusammenhang gebracht wurde, wie im §6 gezeigt worden ist. Auch der Pflanzen- und Tierwelt wurden diese Lebens- und Zauberkräfte zugeschrieben. Zahlreiche Pflanzen gelten als glückbringend, schirmen die Gesundheit, halten Unglücksdämonen (wie Hexen, den Alp) fern, sind nützlich bei manchem Zauber, bewirken bei den Frauen leichte Geburt, künden zuweilen die Zukunft und sind nicht selten Wetterpropheten.

Auch an

Bäume knüpft sich vielfach der Aberglaube, doch fast nur an die Bäume, die auf germanischem Boden heimisch sind. Ganz besonders üppig wuchert diese unterste Religionsschicht auch im Tieraberglauben fort, der natürlich auch, wie der Pflanzenaberglaube, im Laufe der Zeit immer neue Nahrung von innen und außen her erhalten hat. Auch in der Tierwelt kennt der Germane glückbringende Tiere, Tiere, die das Haus und den Herd vor Ungemach, besonders vor Blitzschlag schirmen. Eine besondere Rolle spielt das Tier in der passiven Weissagung, im Angang, gegen den schon der heilige Eligius als heidnischen A. predigt (Grimm D. Myth. 4 III 404). Begegnen beim Beginn eines Unternehmens ein Fuchs oder Wolf oder Schaf, so bedeutet dies Glück, dagegen sagen Hase, Katze, Schwein unglücklichen Ausgang an. Einige Tiere, wie das Pferd, die Schwalbe, der Storch, die Biene, galten geradezu als heilig und durften nicht verletzt oder gar getötet werden. Daß in der Verehrung dieser Tiere Überreste alten Totemismus, ist schwerlich anzunehmen (vgl. Religion § 4).

Die Belebung der Natur birgt die Anfänge des Dämonenglaubens (s. d.). Die ganze Natur, die Mineral-, Pflanzen- und Tierwelt, wurde mit einer Schar Dämonen erfüllt, die bald helfend, bald schädigend in die Geschicke der Menschen eingriffen, ohne daß man sich eine bestimmte Vorstellung von ihnen machte. Solche Dämonen hausten in der Luft, in den Wolken, in den Gewässern, im Gewitter; sie brachten Krankheiten über Menschen und Tiere, vernichteten im Hagelwetter die Saaten, ja nahmen zuweilen sogar an Kämpfen teil (Fornms. II, 134 ff.). Gegen sie suchte. man sich zu schirmen durch Zauber oder alle möglichen Arten Amulette (s. d.), die man bei sich trug oder an bestimmten, den Dämonen besonders ausgesetzten Orten niederlegte. Wurde dem Schutzmittel besondere Verehrung zuteil, so wurde es zum Fetisch (s. d.). Wo man nutzbringende Dämonen wähnte, wie in Quellen oder in Wäldern, galt der Ort als heilig (tabu), und niemand durfte ihn entweihen. Allmählich gab die Phantasie diesen Dämonen Tier- oder Menschengestalt, zumal als der

Dämonenglaube mit dem Seelenglauben. verquickt war, und so entstand die ganze Schar anthropo- und theriomorphischer Wesen, die im Mythus, in Sage und Märchen eine so wichtige Rolle spielen (vgl. § 10).

§ 8. Eine zweite Schicht altgermanischen Aberglaubens wurzelt im Seelenglauben (s. d.) und Ahnenkult (s. d.). Dieser hat vielfach den Dämonenglauben in sich aufgenommen, und nun hausen die Seelen der Verstorbenen, wo einst Dämonen geherrscht haben. Daher ist es zuweilen ganz unmöglich festzustellen, ob wir in diesem oder jenem Aberglauben Reste des Dämonen- oder Seelenglaubens haben. In der Beobachtung des Sterbens und im Traumleben wurzelt der Seelenglaube, der mit seinen Wiedergängern und Spukgestalten, mit seiner Seelenfauna, seinen Quäl- und Schutzgeisten das ganze Feld des Aberglaubens überwuchert hat. gleich befinden sich in seinem Gefolge unzählige abergläubische Sitten und Gebräuche, die sich teils an den Tod eines Mitmenschen knüpfen, teils in Zeiten geübt werden, die man besonders als Zeiten der Wiederkehr der abgeschiedenen Seelen auffaßte. Aus den meisten spricht noch die Furcht, die man vor der Wiederkehr der Seele gehabt und die zum großen Teil diesen Glauben bedingt hat. Im einzelnen muß hier auf die Artikel Seelenglauben und Totenkult verwiesen werden.

Zu

§ 9. Die jüngste Schicht religiöser Entwicklung der Germanen ist die Verehrung persönlicher Gottheiten, deren Gebiet sich wesentlich über ihr Ursprungsgebiet erweitert hatte. Sie besaßen bei dem einen Stamme mehr, bei dem anderen weniger Macht. Gegen diese Götter war in erster Linie der Kampf der christlichen Missionare gerichtet. Man erklärte sie für Dämonen, und so sanken sie auf die Schicht des Volksglaubens zurück, aus der sie hervorgegangen sind. Ihren Kult und damit ihre Stellung als Stammesgottheiten hat die christliche Kirche gebrochen, den Genossenschaftsglauben an sie aber nur auf den Volksglauben zurückgedrängt. In diesem leben sie zum Teil bis auf den heutigen Tag noch fort, ohne daß es sich jedoch in den einzelnen Fällen feststellen läßt, ob wir es mit altem Volksglauben

oder mit Genossenschaftsglauben zu tun. haben, der zu neuem Volksglauben geworden ist. Das ist ganz besonders der Fall bei dem weit verbreiteten A. von der wilden Jagd, dem wütenden Heer und seinem Führer, der bald als Schimmelreiter oder Breithut, Hackelberg, Nachtjäger, wilder Jäger, Palne Jæger, Bandietrich, Kong Volmer usw. erscheint und in dem man stets den germanischen Wodan wiederfinden will. Allein die Vorstellung von dem Totenheere als der Wilden Jagd oder dem Wütenden Heere ist das ältere, ursprüngliche gewesen, wie ein Vergleich mit der Glaubensgeschichte anderer Völker lehrt, und erst nach engerem politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluß ist der Schar ein Führer gegeben worden, der im Laufe der Zeit bei einigen germanischen Stämmen sein Machtgebiet wesentlich erweitert hat und in den Mittelpunkt des Kultes getreten ist. Aber auch nachdem dies geschehen war, hat der Glaube an das führerlose Heer noch fortbestanden und zugleich auch der Trieb, dieser Schar einen Führer zu geben. Deshalb können jene Gestalten des A., zumal wenn sie die Namen historischer Personen tragen, recht wohl ganz unabhängig von irgendwelchem alten Wodansglauben noch in relativ später Zeit in der Volksphantasie entstanden sein. Und dasselbe gilt auch von den weiblichen Führerinnen des Seelenheeres wie Frau Holle, Frau Harke, Perchta u. a. § 10. Die poetischen Gestalten des A. Der germanische A. ist die Quelle reichster Poesie. Mythus und Legende, Märchen und Sage haben in gleicher Weise aus ihm geschöpft. Auf dem Volksglauben fußen zahlreiche Legenden, die die eddische Dichtung von den nordgermanischen Göttern kennt, in dem Volksglauben wurzeln die meisten Märchen des Volkes, Gestalten des Volksglaubens begegnen in der Volkssage auf Schritt und Tritt. Aus dem A. sproẞten die Spuk- und Teufelssagen, die Wunderund Zaubersagen, die Schatz- und unzählige andere Sagen, die man als mythische Sagen zu bezeichnen pflegt. Die mannigfaltigsten Gestalten hat die Phantasie des Aberglaubens geschaffen: die Riesen (s. d.), Elfen, Zwerge, Wichte, den

Kobold, das Güttel, den Puck, Butzemann, Klabautermann, das Erd- und Heinzelmännchen, den schott. Brownie, den engl. good Fellow, die skandinav. Nisser, Bolvætt, Tomte, die Holden und Perchten, das isl. Huldufolk, den Alp, die Mahre, Trude, den Drachen, die Hexen, den Werwolf, Bilwis, die Feuermänner, Zeisler, den skand. Lyktegubben, die Nixe, den nord. Marmennill, die Havmænd und Havfruer, den Fossegrim der norwegischen Wasserfälle, die Fangen, Wilden Leute, Moosfräulein, die Hyllemor und Skogsfru, den Korn-, Roggen-, Graswolf, die nordischen Valkyrjur, Fylgjur, Nornir, die Schwanenjungfrauen usw. Auch zahlreiche Züge, die im Volksglauben wurzeln, sind in der Volksdichtung verwertet. Es sei nur erinnert an das Verstehen der Tier-, besonders der Vogelsprache, an das Motiv von der verborgenen Seele, an die vielen Sagen von der Wanderung der Seele in Tiergestalt während des Schlafes.

§ II. Zeiten und Pfleger des Aberglaubens. Auch die Tages- und Jahreszeit hat Einfluß auf die Erweckung und Pflege des A. Von den Tageszeiten wirkt die Nacht ungleich mehr zur Förderung des A. als der Tag. Die Finsternis erregt Furcht, und diese läßt die kindliche Phantasie alle möglichen Gestalten sehen. Daher meidet man während der Nacht Wanderungen oder geschäftliche Unternehmungen. Auf der anderen Seite. ist sie besonders geeignet zum Verkehr mit den Geistern, die das Tages- und das Sonnenlicht scheuen. Für alles Zauberwerk ist sie daher die einzig günstige Zeit, und noch heute ist der Glaube verbreitet, daß man heilbringendes Osterwasser vor Sonnenaufgang schöpfen, gesundheitfördernde Pflanzen noch im Halbdunkel stechen müsse. Hieraus erklärt sich u. a. auch, daß der Mond, der Gefährte der Nacht, im A. eine viel größere Rolle spielt als die Sonne. Auch bestimmte Jahreszeiten treten im A. besonders hervor. Die Hauptperiode des Jahres für den A. ist in der heidnischen Zeit geradeso wie in der christlichen die Zeit des Tiefstandes der Sonne, die Winternacht, gewesen. In dieser Zeit hielten die Seelen der Abgeschiedenen ihr großes Fest; sie gastlich

zu bedienen an den Stätten, wo sie einst im Körper gewirkt hatten, war menschliche Pflicht. Das waren die Tage, wo noch heute im Volksglauben das wütende Heer, der Onsjæger, Frau Holle usw. durch die Lüfte fahren und den Menschen bald Glück, bald Unglück bringen. Durch diese Geister konnte man aber auch die Zukunft erfahren, und so ist die Winternacht vor allem die Zeit volkstümlicher Prophetie. Prophetie. Wie im Heidentum in diesen Tagen im skandinavischen Norden Völven umherzogen, um den Menschen die Zukunft zu künden, so sucht noch heute das Mädchen in der Zeit der Zwölfnächte durch Loswurf oder Orakelspiel einen Blick in die Zukunft zu tun. Neben der Winternacht treten die anderen Jahreszeiten, in denen der A. blühte, zurück: es sind die Tage des Hochsommers und die der Wiederkehr der Sonne und des Erwachens der Natur im Frühling. Im Hochsommer beherrscht die Furcht vor den hagel- und gewitterbringenden Dämonen die Gemüter und vor den Krankheitsdämonen, die mit jenen in engen Zusammenhang gebracht sind; ihrer Abwehr gelten die meisten abergläubischen Gebräuche dieser Zeit. Im Frühjahr dagegen sucht man durch magische Handlung die Sonne bei ihrer Verjüngung zu unterstützen und ist bemüht, die sprossende Kraft der lebenspendenden Erde durch alle möglichen Fruchtbarkeitsriten auf Äcker, Bäume, Tiere und Menschen zu übertragen.

So hängt ein großer Teil des A. mit den Vorgängen in der Natur zusammen und erhält durch diese auch ununterbrochen neue Nahrung, neue Kraft. Hieraus erklärt sich auch, daß der A. vor allem bei denjenigen Ständen eine Pflegstätte hat, die ihre Beschäftigung in der freien Natur haben, bei der ackerbautreibenden Bevölkerung, den Hirten, den Winzern, den Waldarbeitern, den Seeleuten. So war denn auch der A. ganz allgemein, als diese Beschäftigungen bei den Germanen im Mittelpunkte wirtschaftlichen Lebens standen. Dazu kommt noch, daß die Beschäftigung in der Natur viel mehr die. assoziative Denkform erhält als die gemeinsame Beschäftigung der Bürger in

den Städten. Aus dieser assoziativen Denkform erklärt es sich auch, daß noch heute das weibliche Geschlecht, welches zu dieser Denkform besonders neigt, dem Aberglauben mehr huldigt als das männliche, was nach dem Zeugnis des Tacitus (Germ. K. 8) und der nordischen Sagas schon in heidnischer Zeit bei den Germanen der Fall gewesen ist.

§ 12. Träger des Aberglaubens. Es gibt fast kein Ding, fast keine Erscheinung in der Natur, fast kein Ereignis im menschlichen Leben, an das sich nicht der A. knüpfte. Alle diese Träger des A. auch nur anzuführen, würde ganze Bände füllen. Es sollen daher nur einige der wichtigsten und vor allem solche, die sich bei allen germanischen Völkern von alter bis in jüngste Zeit nachweisen lassen, herausgegriffen werden. Zunächst ist der menschliche Körper, sind die meisten seiner Glieder Träger des A. Das Haupt galt als Sitz des Verstandes. Deshalb pflegte man den Kopf eines klugen Menschen nach seinem Tode abzuschneiden und aufzubewahren, um ihn zu fragen, wenn es galt, die Zukunft zu erforschen (P Grundr. III 306). Noch heute gebraucht man das Haupt Toter, zumal solcher, die im Leben als Zauberer galten, zu allen möglichen abergläubischen Handlungen (Am Urquell 3, 59 ff.). Eine besondere Rolle spielt im A. das menschliche Blut, da dieses als Sitz des Lebens und somit aller Lebenskräfte, der Eigenschaften der Menschen gilt (vgl. Strack Der Blutaberglaube in der Menschheit 4, 1892). Menschen, die ihr Blut gemischt und gemeinsam genossen haben, sind für immer miteinander verbunden. In diesem Glauben wurzelt die nordische Blutsbrüderschaft (s. d.). Vor allem im medizinischen A. begegnet das Blut als Heilmittel gegen alle möglichen Krankheiten, besonders Epilepsie, weshalb man alles aufbietet, um in den Besitz von einigen Blutstropfen Hingerichteter zu kommen. Beim Liebeszauber ist seit alter Zeit dem Menstrualblut wie andererseits dem semen virile bindende Kraft zugeschrieben worden. Neben dem Blute gelten auch andere Glieder als Seelenträger: das Herz, die Leber, die Niere. Zum Diebeshandwerk

gehört wie der Finger auch das Herz ungeborener oder neugeborener Kinder, denn es macht den Besitzer unsichtbar. Daher die grausamen Morde schwangerer Frauen (Wuttke, Abergl. § 184). An den Fuß und seine Teile knüpft sich ebenfalls vielfach Liebeszauber (Aigremont Fuß- u. Schuhsymbolik u. -erotik, 1909). Aber nicht nur an den Körperteilen, auch an der Kleidung, an dem Namen des Menschen haftet zahlreicher A. Was mit dem Kleidungsstück eines Menschen vorge nommen wird, geschieht mit dem, der es getragen hat. Der Name eines Menschen deckt sich ganz mit seinem Träger. Wer jemandem Gutes oder Böses wünscht, braucht nur den Namen zu nennen, wenn der Wunsch in Erfüllung gehen soll. Daher verheimlichte selbst Sigurðr seinen Namen, als er Fafnir die Todeswunde beigebracht hatte, denn der Fluch des sterbenden Menschen hat doppelte Kraft (Fāfnism. 2; vgl. Nyrop Navnets Magt. 1887). Wie der Name, so ist auch das Bild des Menschen der Mensch selbst, und was man mit jenem vornimmt, geschieht diesem. Gegen die Nachbildungen kranker Glieder, die man an geweihten Orten, besonders an Kreuzwegen niederlegte und die noch heute im Volksglauben, namentlich der katholischen Bevölkerung, eine so wichtige Rolle spielen (vgl. Andree Votive und Weihgaben 1904), eifern bereits der heilige Eligius, der Indiculus superst. und andere. Glaubensprediger der frühchristlichen Zeit (vgl. Grimm, D. Myth. 4 III 402 ff.). Mit dem Bilde des Menschen deckt sich sein Schatten. Er ist die den Menschen begleitende Seele, seine fylgja (s. d.), und wer dem Menschen den Schatten nimmt, raubt ihm seine Seele. Daher die Angst vor dem sommerlichen Mittagsgeist, denn in der Mittagssonne des Hochsommers schwindet der Schatten des Menschen fast ganz (vgl. Rochholz Deutscher Glaube und Brauch I 59 ff.; Arch. f. RW. 5, 1 ff.).

§ 13. Tiefgewurzelt in der Seele des

Volkes ist ferner der Glaube an die übernatürliche Kraft gewisser Steine und Felsen, der Pflanzen, der Tiere, des Wassers, des Feuers, der Erde, von Steinen und Metallen, die in der Erde gefunden worden sind und die sich durch ihre Form auszeichnen.

Namentlich prähistorische Waffen und Gebrauchsgegenstände geben übernatürliche Kraft, machen unsichtbar, schirmen gegen Krankheits- und andere feindliche Dämonen (vgl. Amulett; Grundtvig Lysningsstenen 1878; Lehmann Das Mineralreich nach seiner Stellung in Mythologie und Volksglauben 1895; Bessett ZffSpr. 8, 185 ff.). Die Pflanzen treten vor allem hervor im medizinischen A. (s. d.). Aber auch sonst ist das Menschenleben vielfach mit ihnen in Zusammenhang gebracht. Die einen bringen Glück, vermehren das Vermögen (Alraunwurzel, vierblättriges Kleeblatt), andere schützen Menschen und Vieh gegen feindliche Dämonen und werden deshalb besonders häufig an den Häusern und den Türen der Ställe angebracht (Holunder, Johanniskraut, Beifuß usw.); noch andere künden in der Erde verborgene Schätze oder Wasserquellen (Farnkraut, Springwurz, Wünschelrute s. d.) oder werden zu Schicksalsfragen an die Zukunft verwandt (Zwiebel). Wie gewisse Steine macht der Same des Farnkrauts seinen Träger unsichtbar. Der Glaube an die Aufenthaltsorte der abgeschiedenen Seelen hat ferner jenen Bergund Baumkult (s. d.) entstehen lassen, den fast alle christlichen Glaubensprediger als den wesentlichsten Bestand altheidnischen Glaubens neben dem Feuerkult (s. d.) tadeln und verurteilen (vgl. Caspari Homilia de sacrilegiis 17 f.). Auch die sprossende Kraft der Erde regte vielfach die Phantasie zum A. an und gab Veranlassung zu allen möglichen abergläubischen Sitten und Gebräuchen im Frühjahr, die bis heute noch nicht ausgestorben sind (vgl. Mutter Erde). Aufs engste verknüpft mit dem menschlichen Leben war durch den A. auch das Tierleben. Ein Totemtier können wir bei den Germanen nicht nachweisen. Aber der Glaube, daß die menschlichen Seelen nach dem Tode in Tiergestalt sich zeigen, daß gewisse Menschen auf Zeiten ihre Seele aus dem Körper senden und dann Tiergestalt annehmen können, war allgemein verbreitet. Als Hunde und Wölfe, als Raben und andere Sturmvögel zogen die Toten durch die Lüfte, als Werwölfe, Bilwisse, Schwäne trieben Zauberer und Zauberinnen ihr Wesen (vgl. Seelenglaube).

So fest war der Glaube an die Verquickung der Menschen- und Tierseele, daß noch im ganzen Mittelalter Tieren, die Schaden angerichtet hatten, in aller Form der Prozeß gemacht wurde (v. A mira, Mitt. d. österr. Instit. f. Geschichtsforsch. 4, 545 ff.). Daher verkehrte auch der Mensch mit den Tieren wie mit seinesgleichen, sprach mit ihnen manche besaßen die Gabe, auch die Sprache der Tiere zu verstehen -, gab ihnen wie seinen Mitmenschen Namen, fragte sie oder achtete auf ihre Stimme, wenn es galt, eine Frage an das Schicksal zu richten (vgl. Germ. Kap. 10). Die Innigkeit dieses A. zeigt sich besonders in dem Verhältnis zwischen den Haustieren und den Hausgenossen: war der Herr des Hauses gestorben, so mußte der Erbe jenen, besonders den Kühen, Pferden und Bienen, feierlichst den Tod des alten Herrn verkünden und die Tiere bitten, dem neuen Genossenschaftsverbande treu zu bleiben, wie sie es dem alten gewesen waren.

§ 14. Unter den Gestirnen tritt der Mond im A. vor allem hervor. Die Erhöhungen und Vertiefungen auf ihm haben überall die Sage entstehen lassen, daß Menschen zur Strafe für irdische Vergehen auf ihn versetzt worden seien. Der Wechsel seiner Gestalt, sein Zu- und Abnehmen wird in engste Verbindung mit menschlicher Tätigkeit gebracht. Schon Burchhard von Worms verbietet lunam observare, auf den Wechsel des Mondes zu achten. Im ganzen Mittelalter, auch in der Neuzeit geschieht alles, was zunehmen, was glücken soll, bei zunehmendem Monde, alles, was abnehmen soll, bei abnehmendem. Ehen dürfen nur bei zunehmendem eingegangen werden. Deshalb sollen viele Unternehmen vor Neumond nicht begonnen werden, ein A., der schon Ariovist im Kampfe gegen die Römer die Niederlage gebracht hatte (Cäsar, Bell. gall. I 50). Gegenüber dem Mond treten die Sonne und die andern Gestirne als Träger des A. zurück. An Stelle jener ist ihr Substitut, das nachgebildete Sonnenrad, oder das Feuer, getreten, durch das man im Frühjahr der Sonne neue Kraft zuführte, in dem man sie zu verehren wähnte.

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